: Ein selten komisches Derby
BVB-Torhüter Jens Lehmann sieht mal wieder rot-rot und verleiht dem 2:2 zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund im Duell um die Champions-League-Qualifikation eine kabarettistische Note
aus Gelsenkirchen HOLGER PAULER
„Fußball ist ein komisches Spiel geworden.“ Jens Lehmann gab nach dem Ruhrderby in der Arena auf Schalke den Fußballpessimisten – fernab jeglicher Komik. Die gegen Ende des Spiels für eine Auseinandersetzung mit seinem Mannschaftskollegen Marcio Amoroso erhaltene gelb-rote Karte ließ den Dortmunder Torhüter verzweifeln. Er fühlte sich nicht zum ersten Mal in seiner Karriere ganz und gar missverstanden: „So eine seltsame Regel gibt es doch gar nicht.“
Mit dieser Ansicht stand er jedoch allein da. Dortmunds Manager Michael Meier sprach sogar davon, dass Lehmanns Fehlverhalten den Erfolg des gesamten Teams aufs Spiel gesetzt habe. Der Ausraster stellte jedenfalls die Parität auf dem Rasen wieder her und brachte die Schalker beim Stande von 2:2 wieder zurück in ein Spiel, welches sie Mitte der ersten Halbzeit, nach der roten Karte für Victor Agali, aus der Hand gegeben hatten – auch so eine komische Entscheidung an diesem hysterischen und hektischen Derbynachmittag, dem die vier Unparteiischen nicht gewachsen waren. Agalis Tätlichkeit ging ein ungeahndeter Elbogencheck Dedes voraus. Die Schalker, spielerisch eh schon unterlegen, mussten nun auch numerisch nachgeben. Zu diesem Zeitpunkt stand es allerdings durch Tore von Sven Vermant und Nico van Kerkhoven bereits 2:0 für die Gastgeber. Verfrühte Siegesgesänge dröhnten durch die Arena, und der BVB schien sich in seine seit über mittlerweile vier Jahren angestammte Derbyrolle des Punktelieferanten zu fügen.
Doch es kam anders. Schon vor dem Platzverweis für Agali war zu erkennen, dass die Dortmunder an diesem Tag unbedingt gewinnen wollten. Chancen wurden reihenweise herausgespielt, allerdings zumindest in der ersten Halbzeit mit schöner Regelmäßigkeit vergeben – das alte Problem. Das Schalker Spiel hingegen litt unter der Ideenlosigkeit Andi Möllers, der in seinem wohl letzten Derby völlig untertauchte. Zur Halbzeit blieb er in der Kabine – ein unspektakulärer, trauriger Abgang. Dennoch: Die deutliche, aber schmeichelhafte Schalker Halbzeitführung passte zum „komischen Fußball“ und ließ erahnen, was da noch kommen sollte.
Der starke, nur schwer zu haltende Jan Koller und Ewerthon schafften nach der Pause schnell den Ausgleich. Die Dominanz der Borussen ließ sie auf einen historischen Sieg hoffen, doch ausgerechnet ein fälschlicherweise wegen angeblicher Abseitsstellung nicht gegebenes Kopfballtor von Schalke Kapitän Tomasz Waldoch ließ eben diese Dominanz bröckeln. Es folgten Szenen, die der englische Philosph Thomas Hobbes wohl mit dem Zustand des Krieges „aller gegen alle“ gemeint haben muss: Während sich ganz Fußball-Schalke über die Fehlentscheidung echauffierte, rastete Jens Lehmann Richtung Marcio Amoroso aus. Ein Schubser von Amoroso ließ die Situation eskalieren. Schiedsrichter Fandel zeigte Jens Lehmann die Rote Karte. Dortmunds Kapitän Stefan Reuter faltete temperamentvoll wie nie seinen Torhüter noch auf dem Rasen zurecht. Dieser wiederum zuckte zusammen und schien erst jetzt wieder in der Realität angekommen.
Rudi Assauer versuchte derweil mit altbekannter Gestik, Schalke-Trainer Neubarth von Herbert Fandel fernzuhalten, und Schalke-Torhüter Frank Rost – in Sachen Ausraster Lehmanns Bruder im Geiste – gab später völlig aufgelöst einen Mix wirrer Verschwörungstheorien von sich: „Gegen die Bayern- und Dortmundlobby hat man keine Chance. Die Schiedsrichter nehmen regelmäßig massiven Einfluss.“ Ein Glück, dass Frank Rosts Lieblingsopfer Anibal Matellán an diesem Nachmittag spielfrei hatte. Der eingewechselte Amoroso musste übrigens den Platz für Ersatzkeeper Weidenfeller räumen.
Rudi Assauer trauerte hinterher dem nicht gegebenen Siegtreffer nach: „Wir sind jetzt zweimal innerhalb von drei Wochen betrogen worden.“ Dortmund Trainer Matthias Sammer beklagte den angesichts der Überlegenheit spärlichen Ertrag des Spiels. Im Kampf um die Champions-League-Plätze ist eine eventuelle Vorentscheidung vertagt worden. Und die zehn Punkte Abstand lassen die Dortmunder Meisterschaftsträume wohl endgültig zerplatzen. Jens Lehmann darauf angesprochen: „Ich glaube, ich sage jetzt erst einmal vier bis fünf Wochen gar nichts mehr.“ Komisch, dass beim Fußball auch immer so viel geredet werden muss.
Schalke 04: Rost - Oude Kamphuis, Hajto, Waldoch, van Kerckhoven - Vermant, Poulsen, Möller (46. van Hoogdalem), Böhme (46. Varela) - Agali, Mpenza (86. Sand)Borussia Dortmund: Lehmann - Metzelder, Wörns, Madouni (46. Amoroso - 81. Weidenfeller), Dede - Kehl, Reuter, Frings - Rosicky - Ewerthon (79. Ricken), KollerZuschauer: 60.878; Tore: 1:0 Vermant (13.), 2:0 van Kerckhoven (16.), 2:1 Koller (52.), 2:2 Ewerthon (58.)Gelb-Rote Karte: Lehmann (79.); Rote Karte: Agali (38.)