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■ Ein olympiakritisches Video sorgt in Berlin nicht nur bei Bündnis 90 und Grünen für ziemliche AufregungFilmriß

Mit einem hundsmiserabel gemachten Videofilmchen will einer Handvoll Berliner Anti-Olympia-Aktivisten gelingen, was Generationen von Möchtegern- Militanten eher erträumt denn praktiziert haben: Eine kurze Sequenz des Films, in der ein steinbewehrter vermummter Autonomer die IOC-Oberen mit den Worten „we will wait for you“ begrüßt, erzeugte nicht nur bei den Olympiabetreibern Wirkung, bevor die zwiespältige Einladung ihre Adressaten überhaupt erreicht hat. Nein, das Produkt sorgte auch gleich innerhalb des grün-alternativen Lagers für eine Auseinandersetzung über die längst beantwortet geglaubte Frage nach der Gewaltfreiheit in gesellschaftlichen Konflikten.

Schon die vage Kenntnis von der Existenz eines Anti-Olympia-Filmes reichte dem Regierenden Bürgermeister – ohne das Werk überhaupt zu kennen –, nach dem Staatsanwalt zu rufen. Die politische Spitze der Stadt sieht nicht nur die Olympiabewerbung ernsthaft gefährdet, sondern fürchtet gar um den Schrecken, den die paar verwackelten Bilder unter den Bonner Politikern verbreiten könnten. Und schon wird das Menetekel des verhinderten Regierungsumzuges an die Berliner Mauer gemalt.

In Anbetracht dieser fulminanten Wirkung ihres Oeuvres beschleicht die bislang einzig bekennende Autorin, die Grünen-Abgeordnete Judith Demba, ein sattsam bekanntes linkes Gefühl: sie empfindet klammheimliche Freude. Sie würde dieses Sentiment wohl auch gerne offen ausleben, wäre ihr Film nicht unvermittelt aus der schmuddeligen Atmosphäre der Hinterhofwerkstatt in die lichte Höhe der parlamentarischen Auseinandersetzung geraten und würde nicht sie und mit ihr ihre Partei daran erinnert, daß man nicht unbedingt im Kreis autonomer Aktivisten beheimatet ist und der gewaltfreien Konfliktaustragung den Vorzug gibt. Eines Prinzips, dessen sich die Grünen bei anderer Gelegenheit, wie zuletzt bei der Großdemonstration am 8. November, mit Verve befleißigten.

Diesem Dilemma begegnet der Landesvorstand der Partei mit einer selten dummen, dafür aber um so bezeichnenderen Erklärung: flugs wurde das Video als Privatgeschenk an die IOC-Oberen deklariert. Eigentlich sei es doch gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Man hofft allen Ernstes, sich auf diese Weise der Auseinandersetzung entziehen zu können. Das Verdienst des Bündnis 90 ist, dies zu verhindern. Die Bürgerbewegten sind zu Recht sensibel, wenn Prinzipien in den eigenen Reihen unter taktischen Gesichtspunkten – der Zweck heiligt die Mittel – gehandhabt werden. Es ist von daher verständlich, wenn sie das Video zur Nagelprobe für das Zusammengehen erklären. Dem Film kommt somit unversehens auch bundespolitische Bedeutung für die Grünen zu. Es ist zu erwarten, daß diese die Debatte mit feuilletonistischen Betrachtungen darüber, was ein Film im allgemeinen und besonderen dürfe und was denn nun das Bild von der konkreten Tat unterscheide, bestreiten werden. Das Bündnis 90 sollte sich davon nicht ablenken lassen. Dieter Rulff

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