: Ein normales Land
Nach dem Referendum zum EU-Beitritt: Polens Generalkonsul in Hamburg erhofft sich Impulse für Wirtschaft und fürs Zusammenleben
von PETER AHRENS
Polen ist weit weg. Polen ist der direkte Nachbar. Beides stimmt, je nach Sichtweise. Was auf jeden Fall richtig ist: Polen ist an diesem Wochenende näher gerückt. Die Zustimmung zum EU-Beitritt ist „eine Art Ritterschlag“ für das Land, sagt der für Norddeutschland zuständige Generalkonsul Andrzej Kremer. Die wirtschaftliche Kooperation zwischen Polen und Hamburg ist bereits seit Jahren eng, nun erwartet Kremer auch das Verschwinden der zahlreichen Verwaltungshemmnisse. „Wir wollen kein exotisches, sondern ein ganz normales Land in Europa sein“, sagt er, und die Zugehörigkeit zur Europäischen Union soll das richten.
100.000 PolInnen leben allein in Hamburg, rechnet man die Deutsch-PolInnen hinzu, in Norddeutschland sind es gut 250.000. Mehr als 2000 haben sich am Wochenende am Referendum beteiligt, haben im Konsulat in Steilshoop – übrigens die einzige diplomatische Vertretung in Hamburgs Norden – ihr Votum abgegeben und dabei zu 90 Prozent zugestimmt. „Für die Polen, die hier leben, spielen die Ängste vor der EU keine große Rolle mehr“, begründet der Konsul den hohen Grad der Ja-SagerInnen.
Wenn Bürgermeister Ole von Beust (CDU) von der Bedeutung des Ostseeraums spricht, dann kann Kremer das nur gern hören. Er verweist darauf, dass die Zuwachsraten des Hamburger Hafens großenteils auf die Handelsbeziehungen mit den osteuropäischen Beitrittsländern zurückgehe. „Hamburg ist mittlerweile der größte polnische Hafen“, sagt er. 180 Hamburger Unternehmen haben in Polen Niederlassungen, 900 weitere haben zumindest Kooperationen abgeschlossen.
Die Gegenbewegung funktioniert ebenfalls, wenn auch langsamer: Der polnische Mineralölkonzern Orlen eröffnet in Hamburg die ersten Tankstellen und drängt auch auf den schleswig-holsteinischen Markt.
Ein Thema, das den polnischen Diplomaten dagegen aufregt, ist das Jammern der deutschen Bauwirtschaft über die BilligarbeiterInnen aus dem Osten, die die deutsche Branche kaputtmachten. „Ich glaube nicht, dass der Bau Probleme hat, weil es Arbeiter aus Polen gibt, sondern weil die Konjunktur nicht anspringt“, formuliert Kremer ganz diplomatisch zurückhaltend und nennt die Debatte, dann schon deutlicher, „unehrlich“.
Wenn bei der Bezahlung von ArbeiterInnen auf den Baustellen geschummelt werde, dann liege das ja wohl eher in der Verantwortung der deutschen Firmen und nicht der polnischen Arbeitskräfte. „Wenn es wirklich einen Aufnahmestopp für polnische Saisonarbeiter gäbe, würden doch ganze Branchen von der Landwirtschaft bis zur Gastronomie komplett zusammenbrechen“, ist er sicher.
Bei allem Zusammenwachsen: Die belastete deutsch-polnische Geschichte werde durch einen EU-Beitritt nicht vom Tisch gewischt. Darüber ist man sich im Konsulat klar. „Die Geschichte spielt natürlich immer noch eine große Rolle“, sagt der Konsul: „Aber es ist nicht mehr vorrangig Gegenstand politischer Diskussion, sondern historischer Aufarbeitung“, glaubt Kremer festgestellt zu haben.
Und noch ein Hindernis, das auch nach 2004 bleiben wird: Die Sprache. Kremer würde sich wünschen, dass mehr Hamburger SchülerInnen überhaupt die Möglichkeit hätten, Polnisch zu lernen. Gespräche mit der Schulbehörde laufen, die Einrichtung einer bilingualen Schulklasse war im ersten Anlauf am zu geringen Interesse von Eltern gescheitert, soll trotzdem demnächst kommen. Aber der Generalkonsul macht sich keine Illusionen: „Wir haben keine Bedürfnisse oder Hoffnungen, dass es Englisch den Rang abläuft.“