piwik no script img

Ein neugieriger Globetrotter

Flamenco ist eine eigener Kosmos. Aus Andalusien kommend, hat er sich über die ganze Welt verbreitet. Längst haben Flamenco-Künstler*innen auch japanische, deutsche, griechische oder iranische Wurzeln

Flamenco-Tänzerein La Mona ist gebürtige Ulmerin – und Langzeit-­Berlinerin Foto: Daniela Incoronato

Von Katrin Wilke

Der Flamenco, diese originär andalusische Tradition, ist als Kunst- und Lebensform mit all seinen Facetten längst ein Global Player. Und das nicht erst, seit man ihn 2010 zum immateriellen Unesco-Weltkulturerbe ernannte. So ist etwa Japan die zweite Nation nach Spanien, was die Pflege dieser Kultur angeht. Dafür frequentieren Ja­pa­ne­r*in­nen Jahr für Jahr die Tanzschulen im Ursprungsland des Flamenco in Massen, um später zu Hause selber zu unterrichten, zu konzertieren und zu veranstalten.

Berlin als Zentrale

Deutsche Flamencos, wie die von Azabache Flamenco aus Berlin, wiederum geben sogar Flamencokurse in Spanien – und das seit fast 30 Jahren. Das seit 1994 bestehende, personell offene Kollektiv ist eins der unzähligen Initiativen in Berlin, Deutschlands wichtigster und auch innerhalb Europas zentraler Flamenco-Metropole. Sie beherbergt Künst­le­r*in­nen und Aficionadxs aus aller Welt, darunter natürlich auch viele in den letzten Jahren aus Spanien Zugezogene, die die Szene aus erster Hand bereichern.

Entsprechend weltgewandt ist auch Mi Mundo Flamenco, ein deutsch-spanisch-japanisches Musik- und Tanzprojekt, das die „Bailaora“ La Mona um- und antreibt, wenn sie nicht gerade mit dem von ihr mitbegründeten Azabache beschäftigt ist. Die Langzeit-Berlinerin aus Ulm, die ihre Tanzkunst als eine gesamtmusikalische, rhythmische Betätigung empfindet, ist künstlerisch und mental stark vom andalusischen Jerez imprägniert.

Weniger in den Berlins Hipstergegenden, wo sich schicke Tapasbars in spanischer Authentizität versuchen – nein, unscheinbar und versteckt in Kreuzberger oder Weddinger Hinterhöfen findet sich die eine oder andere feine Flamenco-Location: größere „Tablaos“ oder vereinsähnliche, kleine „Peñas“. Eine solche und zugleich Probendomizil von La Monas Flamenco-Chor Coro Rociero de Berlín ist die Peña Flamenca Pata Negra. Dieser informelle Ort ist ein von zwei Flamenco-verrückten Urberlinern liebevoll ausgestaltetes Souterrain, in dem man sich unversehens weit weg fühlt, irgendwo in Andalusien.

Einzelkonzerte oder Reihen wie die des seit langem in Berlin lebenden griechischen Flamenco-Jazz-Gitarristen Nikos Tsiachris (My Spanisch Heart im Jazzclub b-flat) sowie hier und da auch vom flamenco-affinen Oudspieler Alaah Zouiten aus Marokko (bis dato im Jazzclub ZigZag) ködern die an den fusionsfreudigen Flamenco-Gangarten Interessierten.

Nuevo-Flamenco-Initiation

Kürzlich beging man den 30. Geburtstag eines Albums, ohne das es auch diesen Text gar nicht gäbe. Auf „10 de Paco“ nehmen die Spitzenkräfte und Pioniere des Flamenco Jazz und des Nuevo Flamenco, vorneweg der Saxofonist/Flötist Jorge Pardo und Pianist Chano Domínguez, eine gelungene Neulektüre emblematischer Stücke von Paco de Lucía vor – mehrheitlich auch von dem großen Gitarristen komponiert. Diese Neuinterpreta­tio­nen überzeugen manche sogar mehr als die Originale.

Das Album öffnete vielen eine Tür in diese Musikwelt, von der hierzulande Mitte der 1990er noch wenig die Rede war. Flamenco assoziierte man mit traditionellem Tanz und Andalusien und ja, auch schon mit Paco. Dank jenes musikalischen Gitarrengipfeltreffens mit Al Di Meola, John McLaughlin und Paco de Lucía, aus dem das legendäre Live-­Album „Friday Night in San Francisco“ (1980) entstand. Durch die Platte bekam man allerorten eine Ahnung von den neuen, horizonterweiternden Entwicklungsmöglichkeiten des Flamenco.

Einen besonderen Riecher hierfür hatte der Madrider Labelbetreiber, Fotograf und Produzent Mario Pacheco, der wohl bedeutendste Wegbereiter dieser Modernisierung. Seine 1982 gegründete Plattenfirma Nuevos Medios pausierte mit seinem frühen Tod 2020 zwar, wird aber von Familienmitgliedern zumindest nachlassverwaltet. Der riesige Labelkatalog der knapp 40 Jahre, darunter frühe Veröffentlichungen der Flamenco-Popband Ketama oder der Flamenco-Blueser Pata Negra, lohnt einer tieferen Erkundung.

Vieles ist dank Gaileo Music durch die Jahre ins hiesige musikalische Bewusstsein gelangt. Das bayerische Unternehmen ist Label und Vertrieb und seit Jahrzehnten die Relaisstation zwischen Deutschland und der spanischsprachigen Welt. Gaileo Music kooperiert in Sachen innovativer Flamenco mit weiteren spannenden Labels wie Nuba Records/Karonte Distribuciones.

Auch Konzerte aus diesem Bereich sind heutzutage nicht mehr ganz so selten. Das ist vor allem der Arbeit von Uli Fild zu verdanken. Der Konzertveranstalter aus NRW hat seit Langem ein waches Auge auf die Szene und holt einige ihrer spannendsten aktuellen Vertreter ins Land, wie den Saxofonisten und Sänger Antonio Lizana, den Pianisten Daniel García Diego oder den Bassisten Pablo Martín Caminero.

Die Iran-Connection

Eine ebenfalls verwegene Erneuerin und Erforscherin der Wurzeln des Flamenco ist die Iranerin Farnaz Ohadi. Die zu Recht als „Botschafterin des persischen Flamenco“ gehandelte Künstlerin ist angesichts der großen Liebe ihrer Landsleute zu dieser Musik sicher längst nicht mehr die Einzige, aber wohl die Erste, die sich, auf Farsi singend, derart überzeugend in die Eigenheiten des Cante Flamenco hineinfühlt.

Berlin ist in Europa die wichtigste und zentrale Flamenco-Metropole

Die Zeiten, als Frau nicht öffentlich singen durfte, liegen weit zurück, verließ sie doch schon als Teenager ihre Heimat. Das Bewusstsein dafür aber, die damit verbundene rebellische Haltung, hat die Feministin und dreifache Mutter auch in ihrem musikalischen Tun im fernen Kanada nicht hinter sich gelassen. Dort studierte sie klassischen und persischen Gesang, und etwas Flamenco, um sich dann nach Sevilla, eines der Flamenco-Epizentren, zu begeben.

Aus einem geplanten Jahr der Vertiefung in den Flamenco werden nun schon bald vier. Ihr kürzlich erschienenes, erstes in Spanien produziertes Album „Breath“ ist eine üppige Sammlung von Vokal- wie Instrumentalstücken. Zu den Texten von iranischen Dich­te­r*in­nen werden in einem nach eigener Aussage komplizierten Prozess sehr sorgsam die emotional und atmosphärisch passenden Flamenco-Rhythmen und -stile ausgewählt.

Was dabei herauskommt, sind quasi neue Kompositionen, so Ohadi, die angesichts des enormen Reichtums persischer Poesie bislang nicht im Traum daran denkt, selber welche zu schreiben. Die Aufnahmen entstanden mit einer Crew exzellenter spanischer wie iranischer Instrumentalisten, darunter ihr Landsmann Amir Amiri, der eine eigens gefertigtes, während des Musizierens umstimmbares Instrument, die Santur, virtuos und einfallsreich zu spielen versteht. Diese Urform des so genannten Hackbretts ist – noch! – von höchstem Seltenheitswert im mittlerweile doch viele Instrumente einbeziehenden Flamenco.

Doch da der ja, wie gesagt, schon lange ein neugieriger Globetrotter ist, landet nach und nach ohnehin alles nur Denkbare in seinem Gepäck.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen