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Ein neues Leben in der FerneDorf kaufen, Bewohner casten

Mit Blackberry und Facebook sucht ein Mittdreißiger Mitstreiter für ein autarkes Leben in einem verlassenen spanischen Ort. Rund dreihundert Interessierte haben sich schon gemeldet.

In Spanien gibt es zahlreiche leerstehende Dörfer. Bild: dpa

BERLIN taz | Im Februar war Zoltan Dominic Graßhoff bei einer Astrologin. Sie hat Karten gelegt, Schablonen studiert und Sternenkoordinaten berechnet. Bald kommt da etwas ganz Großes, hat sie versprochen. Damals wusste Graßhoff noch nicht, was das sein könnte. Heute ist er sich sicher: Das unbestimmte Große ist sein Dorf.

Zoltan Dominic Graßhoff, 35 Jahre alt, sitzt in Berlin auf einer Holzbank an der Spree, nippt an seiner Holunderbionade und guckt auf das Wasser. Mit seinem schwarzen Polohemd, den sorgfältig rasierten Wangen und zurückgekämmten Haaren könnte er auch ein aufstrebender Jungunternehmer sein. Und vielleicht ist er das sogar irgendwie.

Auch er hat einen Traum, einen Plan: Zoltan Dominic Graßhoff möchte ein verlassenes Dorf in Spanien kaufen. Mehrere hundert davon soll es allein in Südspanien geben. Dort will er mit dreihundert Mitstreitern leben und arbeiten, einmal im Jahr soll die gesamte Dorfgemeinschaft ein Musikfestival organisieren.

Zurzeit ist Graßhoff in der "Leutefindungsphase", wie er es nennt. Denn "coole Leute" seien für dieses Projekt das Wichtigste. Dafür tourt er durch ganz Deutschland: München, Düsseldorf, Hamburg, aber auch Städte in der Schweiz und Österreich.

Bild: taz

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Die Statistik: 2009 wanderten 734.000 Menschen aus Deutschland aus. 2008 war die Zahl ähnlich hoch, in den Vorjahren etwa 100.000 Personen niedriger. Hauptzielländer sind Polen, Rumänien, die Türkei, die USA und die Schweiz. Allein 140.000 der Auswanderer 2009 kamen aus Berlin. Auswanderungsprojekte mit alternativen Ansprüchen zielten schon in den sechziger Jahren nach Indien, Spanien und Griechenland - in die Sonne statt ins verlassene Dorf in der mitteleuropäischen Provinz.

Das Projekt: Auswandern 2010 - in den nächsten Wochen tourt der 35-jährige Zoltan Dominic Graßhoff durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er versucht dort Mitstreiter zu finden, die mit ihm ein verlassenes spanisches Dorf kaufen und bevölkern. Mit Hippies möchte er nichts zu tun haben - er will das Projekt wie ein Unternehmen denken und Festivals veranstalten. Ob die Bewerber zu ihm passen, sortiert er anhand von Fragebögen selbst aus.

Heute ist er dafür in eine Berliner Strandbar gekommen. Ein "Chill and Grill"-Treffen hat er in seiner Facebookgruppe angekündigt. So möchte er Mitstreiter finden.

Graßhoff zieht sich seinen dunkelgrauen Wollmantel über, wickelt seinen pinkfarbenen Palästinenserschal fest um den Hals. Es ist frisch direkt am Wasser, der kühle Wind bläst ihm ins Gesicht.

Der Sommer ist zu Ende - für Graßhoff und sein Projekt ist das gut, das weiß er. Seine Gleichung ist einfach: Je schlechter das Wetter in Deutschland ist, umso mehr Leute wird er für sein Projekt begeistern können. Spanien verspricht Wärme und Sonne - das zieht.

Wie für jedes Start-up gibt es auch für Graßhoffs Unternehmen einen optimalen Zeitpunkt, sein Projekt hat im Herbst und Winter Konjunktur. Bei Facebook gründete er vor ein paar Monaten eine Gruppe "Ein malerisches Dorf in Spanien am Wasser" heißt sie, über 1.000 Anhänger hat sie schon. Seine Idee sei eingeschlagen wie eine Bombe.

Die Sehnsucht nach dem Aussteigen ist nicht neu, und doch möchte Zoltan anders sein als alle Aussteiger vor ihm. "Diese ganzen Hippies und Indienfans brauchen wir nicht", sagt er und zieht an seinem Joint. Die würden nur reden und nicht handeln. Was für Leute sucht er?

Die Antwort kommt schnell. Cool sollten sie sein, er benutzt das Wort schon wieder, cool auf jeden Fall. Leute, die teilen können. Schließlich sind in der Dorfgemeinschaft alle gleich. Fünf, die sich vielleicht bald mit ihm auf den Weg nach Spanien machen könnten, sind heute in die Bar an der Spree gekommen.

Dort sitzt Margareta, sie ist Heilerin und Yogalehrerin und sagt, dass sie sich das Ganze erst mal angucken möchte. Margareta hat schon in vielen Ländern gelebt, Russland, Ukraine - und jetzt Deutschland. Spanien, das klingt für sie gut, nach Sonne, Meer. Yogakurse kann sie überall geben, warum nicht auch in Spanien? Oder Ruwen, er ist Schreiner, möchte sich selbständig machen. Wo, das ist ihm egal. Spanien würde ihm auch gefallen.

Das, was bei Graßhoffs Projekt feststeht, ist noch nicht sehr viel: Um ein leer stehendes Dorf zu kaufen, braucht er mindestens 250 Mitstreiter, die je 5.000 Euro investieren. Dann käme er auf 1,25 Millionen Euro. Mit diesem Geld könnten verlassene Häuser von den Eigentümern gekauft und eine Struktur errichtet werden. Später soll jeder Dorfbewohner achtzig Stunden pro Monat für die Gemeinschaft arbeiten.

Auf Graßhoffs Homepage können Interessierte einen Fragebogen ausfüllen. Mit Fragen wie: "Womit verdienst du gerade dein Geld?" Schließlich sei es wichtig, dass die Mischung der Dorfgemeinschaft stimme, sagt Graßhoff.

Momentan verdient er seinen Lebensunterhalt mit Pokern, davor hat er in Callcentern und bei einer Fernsehproduktionsfirma gearbeitet. Gut dreihundert Fragebögen hat er schon bekommen, darunter sind die unterschiedlichsten Berufsrichtungen.

Sein Zeigefinger trommelt auf seinem Blackberry, dann liest er vor: Elektriker, Schüler, Barkeeper, auch ein promovierter Mikrobiologe. "Sobald wir das Dorf gefunden haben, wird es voll", sagt er mit dem Selbstbewusstsein eines Unternehmensgründers, der weiß, dass es vor allem an ihm liegt, ob sich das Start-up auf dem Markt behaupten kann.

Im Dorf selbst gebe es später "Kompetenzteams" mit Sprechern, alle wichtigen Entscheidungen würden hier gefällt. "Grüße an Angie", sagt er - die nannte ihr Team im Wahlkampf schließlich auch so. Dann sagt Graßhoff: "Wir sind wie eine Firma, wir wollen auch erfolgreich sein." Sieht so ein Aussteiger im Jahr 2010 aus?

"Politik ist kein Thema", sagt Graßhoff. Ja, ökologisch soll es sein, das Dorf. Solarenergie, Nachhaltigkeit sind für uns große Themen, sagt er und klingt dabei wie Umweltminister Norbert Röttgen bei einer Wahlveranstaltung.

Und wie bei Röttgen weiß man auch nicht so genau, was letztendlich davon umgesetzt und was nur einfach so dahergesagt wird, um Mitstreiter zu gewinnen. Denn auch Graßhoff ist auf Stimmenfang, muss Überzeugungsarbeit leisten und die Fragen von Ruwen und Margareta beantworten. Auch die haben wenig von Woodstock und Flower-Power: Habt ihr einen Finanzberater? Gibt es einen Rechtsanwalt?

Wie sieht es mit einer staatlichen Förderung aus? Und was, wenn all das nicht klappt? "Dann haben wir alle etwas erlebt und schreiben ein Buch", sagt Zoltan Dominic Graßhoff und zieht noch einmal an seinem Joint. Das wäre dann das nächste Projekt.

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18 Kommentare

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  • EK
    Eva Krafczyk

    Ich finde die Idee absolut geil-Ich bin selbst nach der Suche von 3Seitenhof und möchte es in kleineren Rahmen aufziehen und wo möglich in Deutschland wenn mich die Bürokratie nicht schon davor nieder macht .Ich freue mich deshalb für jeden Mänschen der Autag leben will und aus diese Politische Mühle aussteigen möchte -das macht uns nur Krank und unkreativ - Zoltan macht weiter

  • F
    Fee

    Mir scheint, trotz all der weinerlichen Stimmen hier, die Skepsis des Journalisten war durchaus gerechtfertigt.

     

    Letzte Meldungen:

    * Tour News herrlich ist dess hier

    Veröffentlicht um 27.10.2010 22:32 von zoltan dominic grasshoff

    * Tour News Schweiz wir kommen

    Veröffentlicht um 17.10.2010 05:54 von zoltan dominic grasshoff

     

    Bis Weihnachten (das verkündete man im letzten Jahr) sollte das Dorf gefunden sein.

     

    Das ganze klingt doch, wenn man die Webseite liest, eher nach dem Traum eines Mittelstufenschülers. Das an sich ist ja nicht verkehrt, aber hier hielten es so viele für realistisch. die 500 Euro pro Person sollten übrigens wohl nur für Dorffindungsexpeditionen und Lobbyarbeit sein, der Rest wird dann später eingesammelt. Dafür bekommt man Anteile an den gewaltigen gewinnen, die natürlich zu erwarten sind.

  • J
    JottHa

    Ich weiß das solche projekte funktionieren können. Es gibt ein ähnliches bereits im norden von portugal.

    Unabhängig denkende deutsche leben dort als selbstverwaltete genossenschaft.

    Zum nachahmen empfohlen überall in europa!

  • LL
    lars larson

    tolle sache! man kann träume eben doch noch leben! jedenfalls mal jemand der es auch probiert....nur keinen neid!

  • AH
    Alexander Hofbauer

    Zitat:träume sind auch schäume....

     

    wohl wahr,aber wo wären wir heute wenn wir niemals leute mit träumen oder visionen gehabt hätten.

     

    was wäre wenn die Gebrüder Wright niemals den traum von fliegen gehabt hätten?

    könnten wir dann jetzt in einem Flugzeug sitzen???

     

    wohl kaum....

     

    ich finde die idee von Graßhoff wagemutig und interessant!

     

    von der taz jedoch bin ich etwas enttäuscht da sie so eine ungewöhnliche idee von oben herab betrachtet.

     

    gerade jourrnalisten sollten unparteiisch und für alles neu aufgeschlossen sein.

  • NO
    Nils Oldenburg

    von der taz hätte ich eigentlich mehr Objektivität erwartet. Die Tatsache, das hier versucht wird einen Traum zu verwirklichen, der zugegebenerweise einen leichten Touch von Utopia enthält, zeigt doch nur einmal mehr an , wie verdrossen man dem aktuellen Weg in Deutschland gegenüber steht. Per se ist egal, ob ein Projekt unrealistisch oder schwer zu verwirklichen ist, da gibt es genügend Beispiele aus der freien Wirtschaft, wo schon weitaus mehr Geld verpulvert wurde.

    Alles beginnt immer mit einer mehr oder weniger guten Idee, und ich für meinen Teil kann nur alle unterstützen, die diesen Schritt wagen.

  • A
    anne

    echt traurig zu sehen, dass mittlerweile mehr wert drauf gelegt wird eine Person auf Grund belangloser details zo verhoehnen & dafuer aufzufallen, als einen informativen diskussions beitrag zu liefern... klatschpresse nennt man das, oder??

  • T
    Tanteguido

    Wer nicht den Traum hat hier in good old germany im Mittelstands "Kredit-Kind-TV" Koma zu landen,

    muss sich irgendwann fragen:

     

    Wo & Was dann ? Wo kann ich meine Rente weiter unterstützen, wo meine Sozialbeiträge abführen...

     

    und da bietet der europäische SozialDeckel und das spanische Festland einfach viel mehr als die kleinbürgerliche Denkweise zulässt. Ich find das einen schönen Ansatz ! Extrem diskutabel - klar -

    aber welches SocialStartup ist das nicht !

     

    Bei Facebook kann man ja recht gut mitlesen was der Herr Zoltan so den ganzen Tag zu tun hat und das scheint mehr zu sein als Joints zu rauchen.

  • CR
    chris ro

    Hm, ich weiss das alle Berichte nur subjektiv erfolgen können. Ich bin selbst Mitglied des Projektes und frage hier mal ganz unschuldig was Euch zu einem solchen Verriss bewegt hat....finde ich einen solchen Stil lustig? ja - aber nur wenn dieser in der Rubrik Satire erscheint.

  • C
    cornelius

    endlichmal leute die rausgehen und handeln

  • S
    scratchy

    Ich find's weder schlecht noch unrealistisch, was er hier realisieren will, ganz im Gegenteil: Es ist toll wie sich hier für seine Ideale eingesetzt wird!

  • M
    markus

    bin wirklich enttäuscht, dass ihr diese aktion teilweise so verfälscht dargestellt habt. bin durch euren artikel auf die facebook gruppe aufmerksam geworden, habe mich ihr angeschlossen und intensiv die website studiert. nachdem der gründer des projekts euren artikel mehrfach richtig stellen musste, frage ich mich, weshalb ihr hier so einen reißerischen journalismus betreibt. daumen runter!

  • PK
    Peter K.

    Der Artikel hat mich ganz schön abgeschreckt.

    Wieder eine neue Sekte mit Zoltan als Guru?

    Dann habe ich mich mal ein bisschen bei den Leuten des Projektes informiert und siehe da: die mir so sympathische TAZ hat da einen schlampigen Schreiberling ans Werk gelassen. Warum wird ein so gutmütiges Projekt versucht zu zersetzen? Bei der Süddeutschen hätte es mich nicht gewundert.

     

    Naja, weiter so! Lasst euch nicht durch solche Sabotage von eurem Traum abbringen!!

  • M
    mascha

    hm. ich habe inhaltlich anderes gehört. irgendwie doof, das immer öfter auch taz-schreiber zum zwangsskeptismus der üblichen blattmacher greifen, um zeilen zu füllen und allwissend zu wirken.

  • IN
    Ihr NameAnnette Heinisch

    Zoltán schafft das ;-)

  • BP
    Britta Pietschmann

    Ein gewagtes Projekt - das stimmt. Was ist, wenn es klappt? Deutschland hat dann ein paar fähige Menschen weniger und Spanien ein nachhaltiges Paradies mehr. Ich möchte eine Aktie kaufen;-)

    Von "Bewohner casten" kann doch wirklich nicht die Rede sein, jeder mit gesundem Menschenverstand der sich einbringen möchte ist willkommen - toll, dass sich Menschen wie Zoltan für ihren Traum engagieren und diesen teilen möchten!

  • H
    Harlekin

    Ick finds super interessant. Man sieht sich beim nächsten Treffen. Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?

  • EH
    eva Hölzl

    träume sind auch schäume!!!!!!!!!