: Ein neues Gesicht für Walhalla
In den bayerisch-germanischen Ehrentempel bei Regensburg zieht die fünfte Frau ein: Heute wird – nach einigem Gezerre – die Büste Sophie Scholls enthüllt und damit der Widerstand gegen die Nazis in die deutsche Heldenschau eingereiht
aus München JÖRG SCHALLENBERG
Walhalla. Für die Germanen war das ein Ausdruck für den Himmel, in dem sich die gefallenen Helden tummeln. Für den bayerischen König Ludwig I. war es die ideale Bezeichnung eines Ruhmestempels, in dem er die Bildnisse herausragender Personen von „teutscher Zunge“ versammeln wollte. Im Jahre 1842 weihte er das monumentale Bauwerk, 358 Marmorstufen hoch über der Donau nahe Regensburg gelegen, ein. Bis heue sind dort 126 Büsten und 64 Gedenktafeln vermeintlich bedeutender Deutscher versammelt, darunter ganze vier Frauen – wie Katharina die Große und Kaiserin Maria Theresia.
Heute kommt nun eine fünfte dazu, um deren Aufnahme lange gerungen wurde: Sophie Scholl wird im Rahmen einer feierlichen Zeremonie am Samstag um 11 Uhr in die Walhalla einziehen. Auf den Tag genau sechzig Jahre nachdem sie in München-Stadelheim enthauptet wurde, findet die Büste der Widerstandskämpferin Platz neben Feldherren wie Scharnhorst, Blücher und Gneisenau, aber auch neben Goethe und Schiller, Beethoven und Bach, Bismarck und Barbarossa.
Die bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Hildegard Kronawitter hatte vor gut drei Jahren den Vorschlag verschiedener Initiativen aufgegriffen, Sophie Scholl in der Walhalla zu ehren. Zuständig für die Auswahl ist seit dem Zweiten Weltkrieg der bayerische Ministerrat, der sich von der Akademie der Wissenschaften beraten lässt. Also wandte sich Kronawitter in einem Brief an Kultusminister Hans Zehetmaier und pries die Studentin und Mitbegründerin der „Weißen Rose“ als eine Frau, „deren ethisches Handeln von jeder Generation aufs Neue als Vorbild anerkannt werden kann“. Sie sei ein Vorbild für demokratische Gesinnung, Mut und Zivilcourage, zudem werde mit ihr die ganze Gruppe gewürdigt und „in eine Reihe mit den herausragendsten Persönlichkeiten deutscher Geschichte gestellt“.
Dagegen konnte und wollte eigentlich niemand etwas sagen, auch wenn man Widerstandskämpfer in der Walhalla bislang eher vergeblich suchte. Trotzdem wehrte Zehetmaier zunächst ab. Es gebe ein lange Warteliste, hieß es, auch werde der Platz allmählich knapp und außerdem sei es ungerecht gegenüber den anderen Mitgliedern der Weißen Rose, wenn nur Sophie Scholl geehrt werde. Schließlich wollte der Kultusminister eine Gedenktafel anbringen lassen – die kommt aber laut der Tradition der Walhalla nur für Persönlichkeiten in Frage, deren Aussehen nicht überliefert ist.
Als sich Politprominenz wie Hans-Jochen Vogel, Renate Schmidt und Hildegard Hamm-Brücher nachdrücklich für die Aufnahme von Sophie Scholl einsetzte, gab Zehetmaier schließlich nach. Offen blieb aber die Frage, ob eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus tatsächlich an einen Ort gehört, der nicht nur antiquiert, sondern auch bis heute eine Spur zu nationalistisch, zu germanisch, zu wagnerianisch wirkt und zu den Kultstätten vieler Neonazis zählt.
So meint Scholls Schwester Elisabeth Hartnagel, dass „Sophie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde“ angesichts der Ehrung, zumal sie in der Tat nie „anders als die anderen“ innerhalb der Widerstandsgruppe hatte behandelt werden wollen. Auch der Münchner Historiker Winfried Süß, Verfasser eines Standardwerkes über die Weiße Rose, findet es „problematisch, einen der sieben damals Hingerichteten herauszustellen“. Diesem Einwand suchen die Initiatoren nun zu begegnen, indem sie dem Widerstand insgesamt eine Gedenktafel in der Walhalla widmen.
Die Befürworter wie Schmidt oder Kronawitter wollen durch eine Büste von Sophie Scholl in der Walhalla dagegen gerade ein Zeichen dafür setzen, dass die deutsche Geschichte nicht nur von Feldherren, Kaisern und Künstlern geprägt ist, sondern auch vom Widerstand gegen die Autorität des Staates. Als Kultstätte für Rechte wäre die Walhalla damit wertlos – das hätte Sophie Scholl wahrscheinlich gefallen.