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Ein neuer Goldzahn

Kindheit in Liverpool und Besuch der alten Dame in Senegal/ Die Familie, die Welt und Hyänen  ■ Aus Cannes Thierry Chervel

Nach Distant Voices, Still Lives (1988) war Terence Davies mit seiner Kindheit noch nicht fertig. Der Mann hat zuviel Glück gehabt! The Long Day Closes (gestern im Wettbewerb) ist weniger eine Fortsetzung als eine Verlängerung des ersten Films. Weitere Augenblicke also — Episoden kann man es kaum nennen — aus Davies' warm- und dunkelgetönten frühen Tagen: Familienfeste, die Mutter bei ihren täglichen Verrichtungen, vor sich hinsummend, Kirche, denn die Familie ist katholisch und fromm, strenge Lehrer, Ins-Kino-rennen- im-Regen. 1956: Der Vater ist inzwischen gestorben, Terence elf. Filmschlager, Kirchen- und Volkslieder und Mahlers Zehnte überwölben die Erinnerungssprengsel.

Das Kind sitzt am Fenster oder im Kino, aber man sieht nicht, was es gesehen haben mag, nur sein still lächelndes Antlitz. Es war wohl blind vor Geborgenheit im Familienschoß. Davies baut seiner Kindheit eine Gruft, mit Frau Mutter und Herrn Jesus drin, und vermauert den Eingang.

Desto gnadenloser strahlt das Licht überm Elefantenfriedhof in Senegal, wo sich Dramaan dem Todesurteil stellt, das die Honoratioren des einst wohlhabenden, tiefgefallenen Städtchens Colobane über ihn verhängen — „im Interesse der Wahrheit, nicht des Geldes“.

„Die Leute von Afrika widmen diesen Film dem großen Friedrich“, steht im Titelabspann. Dürrenmatt hat ihn nicht mehr gesehen, aber er war begeistert von Djibril Biot Mambetys Idee. Hyènes, Mambetys Fassung des Besuchs der alten Dame (ebenfalls gestern im Wettbewerb) spielt in der Sahelzone.

Die alte Dame heißt Linguère Ramatou. Nach dreißig Jahren kehrt sie ins elende Colobane zurück, „reich wie die Weltbank“, wenn nicht reicher, denn sie hat eine japanische Chauffeurin, und ihre Beinprothese — „ein Flugzeugunfall“ — ist vergoldet.

Hunderttausend Millionen bietet sie den Leuten von Colobane, aber nur unter einer Bedingung. Sie will das Gericht kaufen. Es soll Dramaan, den Kneipier und Krämer des Orts, zum Tode verurteilen. Denn Dramaan hat sie vor dreißig Jahren verraten. Als sie von ihm schwanger war, zog er sich vor Gericht mit zwei gekauften Zeugen aus der Affäre, die behaupteten, mit Ramatou geschlafen zu haben. Sie wurde verjagt. „Die Welt hat aus mir eine Hure gemacht“, sagt sie, „nun mache ich aus der Welt ein Bordell. Mit einer Eintrittskarte für den Zoo kommt ihr nicht in den Dschungel. Wenn ihr das Mahl des Löwen genießen wollt, müßt ihr selber Löwen sein.“

Die Leute von Colobane lehnen Ramatous Forderung entrüstet ab, sie seien Humanisten, stellen sich vor Dramaan — und verschulden sich. Die heimischen Zigaretten sind ihnen nicht mehr gut genug — „zu stark, schlecht für meine Lungen“ —, sie wollen Camel. Sie besorgen sich Schuhe aus Burkina Faso, Kühlschränke und Autos, alles auf Kredit.

Dramaan kriegt Angst. Er sucht Schutz bei der Polizei — aber im Mund des Adjudanten blinkt ein neuer Goldzahn, beim Bürgermeister — Bauhausmöbel, unter dem Dach der Kirche — Ventilatoren, Farbfernseher, Kronleuchter. Die Leute lehnen Ramatous Forderung nach wie vor ab, aber Dramaans Tat damals, die finden sie jetzt, dreißig Jahre später, wirklich ganz schlimm.

„Hyänen sind wilde Tiere“, erläutert Mambety im Presseheft, „sie töten nicht.“ Sie seien imstande, einen kranken Löwen eine ganze Jahreszeit lang zu verfolgen.

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