piwik no script img

■ Ein kleiner Vergleich zweier TransferleistungenSchuld und Schulden

Gewiß, Geld macht nicht glücklich, und es gibt viele Dinge im Leben, die mehr zählen als Kontoauszüge. Nur: irgendeinen Maßstab, der Vergleiche ermöglicht, muß es geben. Nehmen wir zum Beispiel auf der einen Seite die Kosten der Deutschen Einheit. Und auf der anderen die Ausgaben für die sogenannte Wiedergutmachung. Bis zum Jahre 2000 wird die Bundesrepublik rund 100 Milliarden Mark für das von den Nazis angerichtete Unrecht bezahlt haben. In diesem Betrag enthalten sind die Entschädigungen für KZ-Häftlinge, Rentenzahlungen an die Überlebenden der Lager und Sachleistungen aller Art. Allem Stammtisch-Gerede zum Trotz war die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ein gutes Geschäft für die deutsche Ökonomie. Sie war eine Art preiswerter Tribut, den Deutschland leisten mußte, um nach den Eskapaden der zwölf tollen Jahre wieder in die Völkerfamilie aufgenommen zu werden: 100 Milliarden Mark, verteilt auf einen Zeitraum von 50 Jahren, das macht zwei Milliarden Mark pro Jahr.

Wie hoch die Kosten der Wiedervereinigung sind, kann vorläufig kein Mensch sagen. Sicher ist nur: Sie übersteigen die schlimmsten Prognosen. In diesem Jahr sollen nach realistischen Schätzungen rund 150 Milliarden Mark in die neuen Bundesländer fließen. Das heißt, falls der Vergleich erlaubt ist, in nur einem Jahr wird für die Folgen der Wiedervereinigung mehr Geld ausgegeben als in 50 Jahren für die Folgen des Dritten Reichs. An dieser Stelle hören die kleinen Parallelen auf und die großen Unterschiede fangen an. Die DDR war kein Brachland in der Sibirischen Öde, sondern die siebtgrößte Industrienation der Welt. Die Einwohner der DDR waren keine soeben aus Lagern entlassenen Jammergestalten, die mit nichts als dem Leben davongekommen waren, sondern durchaus imstande, zwischen einer Packung volkseigenen Kaffees Marke „Rondo“ und einer Dose „Jakobs Krönung“ zu unterscheiden. Bei der Währungsunion wurden ihre Ersparnisse, viele Milliarden Ostmark, im Verhältnis 1:1 bzw. 1:2 in D-Mark umgetauscht – ungedeckte Transfers. Genauso gut hätte Monopoly-Geld bei einem Kindergeburtstag in richtiges Geld umgerubbelt werden können. Dennoch, der Aufschwung Ost will sich nicht so recht einstellen, während der Abschwung West an Fahrt gewinnt. Haben unter diesen Bedingungen die Altbundesländer die Pflicht, für die Sanierung der DDR aufzukommen? Obwohl sie eigentlich nichts dafür können, daß sie am 8. Mai 45 in der richtigen Hälfte Deutschlands aufgewacht sind? Wie immer man die Frage beantwortet, fest steht, daß die Bundesbürger beim Ausgleich ihrer nationalen Schuld viel tiefer werden in die Taschen greifen müssen, als das beim Ablaß der historischen Schuld der Fall war. Henryk M. Broder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen