■ Ein internationaler Strafgerichtshof muß vor allem unabhängig sein: Zivilisationsgeschichtlicher Fortschritt
Fänden die Vertreibungsverbrechen der serbischen „Sicherheitskräfte“ im Kosovo auch statt, wenn heute bereits ein handlungsfähiger und unabhängiger internationaler Strafgerichtshof (ICC) existierte? Hätte die abschreckende Wirkung eines solchen ICC Anfang 1994 ausgereicht, um den Genozid an einer halben Million Ruandern zu verhindern? Eine Fülle hypothetischer Fragen begleitete den Auftakt der Verhandlungen über einen ICC in Rom.
Der aktuelle Fall Kosovo könnte skeptisch machen. Denn hier gibt es mit dem internationalen Kriegsverbrechertribunal zu Jugoslawien ja bereits eine ohne Einschränkung zuständige internationale Strafgerichtsbarkeit. Die abschreckende Wirkung blieb bislang jedoch aus. Dieses wenig ermutigende Beispiel ist allerdings kein Beweis, daß internationale Strafgerichtsbarkeit überflüssig wäre.
Denn ein ICC könnte und müßte ohne all die Mängel arbeiten, die das Jugoslawien-Tribunal und noch mehr das Ruanda-Tribunal in Arusha bislang behinderten. Beide Tribunale wurden in einer zugespitzten historischen Situation vom UNO-Sicherheitsrat geschaffen. Politisch, in ihrer finanziellen und personellen Ausstattung und was den Erhalt wichtiger Informationen betrifft sind beide Tribunale weiterhin abhängig von den wechselnden Interessen und Kalkülen insbesondere der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates.
Das Jugoslawien-Tribunal, die erste internationale Strafinstanz nach den Gerichtshöfen von Nürnberg und Tokio, wird zudem von vielen Serben als historische Ungerechtigkeit empfunden. Rußland und andere Staaten bemängeln eine einseitige Konzentration auf serbische Kriegsverbrechen. Nur ein effektiver, funktionsfähiger und vom UNO-Sicherheitsrat weitestgehend unabhängiger ICC kann die notwendige Abschreckungswirkung erzielen: gegen Kriegsverbrechen und Völkermord, gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie hoffentlich auch gegen das Verbrechen der bewaffneten Aggression. Auch wenn die USA und andere Staaten zunächst nicht dabeisein sollten, weil sie die Beeinträchtigung ihrer „nationalen Souveränität“ fürchten: Die Schaffung eines solchen ICC käme in ihrer zivilisationsgeschichtlichen Bedeutung der Verabschiedung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ und der Genfer Konvention über das humanitäre Völkerrecht vor 50 Jahren gleich. Andreas Zumach
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