: Ein guter Mensch im Feuer
Okay, vielleicht werden wir uns nicht alle lieben, aber doch zumindest weniger umbringen: DerUS-Rapper Michael Franti flog in den Irak. Nun erscheinen DVD-Dokumentation und neues Album
von THOMAS WINKLER
Wenn einer den Glauben an die Menschheit verliert, dann geht er zum Priester. Oder zum Psychiater. Vielleicht geht er auch einfach an den Kühlschrank und isst fettiges Vanilleeis. Michael Franti tat nichts von alledem. Michael Franti ging nach Bagdad.
Oder genauer: Er fiel ein. Denn sein Flugzeug setzte nicht zum gemütlichen Landeanflug an, sondern stürzte sich senkrecht auf die irakische Hauptstadt herab, um dem Beschuss durch Raketen und Heckenschützen zu entgehen. Die magenunfreundliche Szene steht am Beginn von „I Know I’m Not Alone“, dem Film, in dem der amerikanische Musiker seine Reise in den Irak und nach Palästina und Israel dokumentiert. „I Know I’m Not Alone“ ist auch der Titel eines Songs von „Yell Fire!“, dem neuen Album von Frantis Band Spearhead. Preisgekrönter Film und neue Platte, zusammen sind sie die aktuelle Initiative des letzten guten Menschen im Popgeschäft.
Als Franti im Juni 2004 glücklich gelandet war in Bagdad, nur bewaffnet mit einer Gitarre und ein paar Kontakten, stellte er fest, „was ein einfacher Song auslösen kann“, indem Musik Menschen zusammenbringt: „Das hat mir das Vertrauen an die Menschheit zurückgegeben.“ Im Film sieht man ihn nun singen für amerikanische Soldaten und irakische Familien, sprechen mit irakischen und israelischen Aktivistinnen, mit Schriftstellern und palästinensischen Journalisten, ehemaligen israelischen Wehrpflichtigen und mit dem Vater eines Wehrdienstverweigerers. Er steigt hinab in den Keller der irakischen Death-Metal-Band und in ein unter Saddam noch illegales Tattoo-Studio.
Es ist ein einfacher Film, der – entstanden aus Frustration über die amerikanischen Medien – einem aufmerksamen deutschen Zeitungsleser zwar nichts wesentliche Neues mehr zu erzählen hat, aber doch den Blick wieder zurechtrückt auf die menschliche Dimension der kriegerischen Auseinandersetzungen. Doch dass „I Know I’m Not Alone“ mehr ist als nur ein persönlicher Reisebericht und dass er Preise gewonnen hat bei Filmfestivals in Brisbane, San Francisco oder Rotterdam, dafür sorgen die kleinen Details: Wenn Franti sich wundert über die in Bagdad allgegenwärtigen Stromgeneratoren, deren Brummen den Sound der Stadt bestimmt. Und wenn er anschließend naiv seinen Fahrer fragt, ob man sich denn Gedanken mache über die ökologischen Konsequenzen dieser Art der Stromerzeugung, und nur vollkommenes Unverständnis erntet.
Frantis Herangehensweise ist simpel, sie reduziert komplexe politische Zusammenhänge systematisch auf die private Tragödie. Man kann das menschlich nennen. Oder auch populistisch. Noch klarer wird das auf dem zugehörigen Album, das, so Franti, einer „Katharsis“ gleichkam: „Ich musste diese Songs schreiben, als ich nach Hause kam.“ Mit den Beatnigs und später den Disposable Heroes of Hiphoprisy fusionierte Franti in den 80er- und 90er-Jahren noch Hiphop mit Industrial. Parallel zur Musik war Franti aber auch immer sozial und politisch engagiert: gegen die Todesstrafe, gegen Globalisierung und die Privatisierung des Strafvollzugs in den USA. Franti dürfte öfter als jeder andere Musiker in Gefängnissen aufgetreten sein, zu Hause in San Francisco betreibt er ein wie eine Sozialeinrichtung funktionierendes, für Jugendliche offenes Aufnahmestudio.
Musikalisch entfernte er sich seit Mitte der 90er mit Spearhead allerdings radikal von seinen Wurzeln und begann, die immer noch kämpferischen Texte mit eingängigem Pop zu unterlegen. Der fußt bis heute auf Soul- und Funk-Versatzstücken, adaptiert Reggae und auf „Yell Fire!“ so viel Mainstreamrock wie noch nie. Die Revolution mag nicht im Fernsehen übertragen werden, aber, so Frantis Philosophie, man sollte wenigstens zu ihr tanzen können: „A revolution never come with a warning“, heißt es im Titelsong. Für Gastbeiträge wurde neben der legendären jamaikanischen Rhythmusgruppe Sly & Robbie und dem Kölner Reggae-Sänger Gentleman auch Popstar Pink ins Boot geholt.
Der Nachwuchs-Bono Franti ist mittlerweile 40 Jahre alt, trägt tapfer seine Dreadlocks trotz zurückweichenden Haaransatzes, knabbert während des Interviews rohe Möhren und kann dabei problemlos Statistiken herbeten, wie viele Menschen in Gaza unter der Armutsgrenze leben oder in kalifornischen Knästen einsitzen. Franti geht immer noch fast ausschließlich barfuß durch die Welt, um dagegen zu protestieren, dass sich die Menschen die Schuhe, die sie nähen und zusammenkleben, selbst nicht selbst leisten können. Um seine Überzeugungen durchzusetzen, „um die Friedensstifter überall zu unterstützen“, stürzt er sich in Schulden und reist durch die Krisengebiete dieser Erde, nach Uganda und Tansania, Belfast und Dafour. Den Film hat er mit seiner Kreditkarte finanziert und kürzlich ein Jobangebot der Weltgesundheitsorganisation WHO abgelehnt.
„Wir werden uns nicht irgendwann alle lieben“, sagt er, „aber ich denke, ich werde noch eine Welt erleben, in der wir uns weniger umbringen.“ Franti ist immer noch ein Träumer aus Überzeugung, einer, der Realitätssinn als Kleinmut verachtet. Dabei war sein Projekt vor zwei Jahren, als er die Reise antrat, tatsächlich oppositionell. Heute, da Film und Platte erscheinen, repräsentieren beide nur mehr die Meinung des amerikanischen Mainstreams. Das wird Michael Franti gefallen und ihm endgültig den Glauben an das Gute im Menschen zurückgeben.
„I Know I’m Not Alone“, Regie: Michael Franti. USA 2005, 95 Minuten, DVDMichael Franti & Spearhead: „Yell Fire!“ (beide über Anti/SPV)Live: 21. 8. Köln, 22. 8. München,26. 8. Bochum