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Ein ganzes Volk von Atomtestgegnern

Angesichts der drohenden französischen Atomtests im Südpazifik ist Neuseeland geeint wie nie / Der Inselstaat am südlichen Zipfel der Erde ist seit langem Vorkämpfer gegen die Bombe  ■ Aus Wellington Dorothea Hahn

Daß in Frankreich die großen Ferien begonnen haben, weiß im 20.000 Kilometer entfernten Neuseeland jedes Kind. „Die sind im Sommerurlaub – deshalb protestiert in Paris niemand gegen die Bombe“, weiß die junge Friedensaktivistin Louise in Wellington aus der Zeitung. Aus den neuseeländischen Medien hat sie auch, daß „die Franzosen gegen die Atomtests im Südpazifik wären, wenn es ein Referendum gäbe“.

Seit Frankreichs Präsident Chirac im Juni die Wiederaufnahme der französischen Atomtests im Südpazifik verkündete, sind die dreieinhalb Millionen Kiwis ein einiges Volk. Die 99 Parlamentarier sind ohne Ausnahme dagegen, Regierung und Opposition überbieten sich in anti-atomaren Erklärungen, und selbst die französischen Immigranten in Neuseeland reichten bei ihrem Botschafter eine Petition gegen die Tests ein. Quer durch die Gesellschaft herrscht Übereinstimmung in der Forderung nach einem weltweiten und sofortigen Atomteststopp. Und nur aus Gründen der Toleranz will man den Franzosen gestatten, ihre Bomben in Paris zu zünden – vorausgesetzt „die sind überzeugt, daß das wirklich unschädlich ist“.

Louise war gerade auf einer Vortragsreise auf der Südinsel, als die Hiobsbotschaft aus Paris kam. Auf ihrer überstürzten Rückkehr wurde sie mit Hilfsangeboten überschüttet. „Sag uns, was wir dagegen tun können“, hörte die 22jährige immer wieder von Landsleuten, die nicht verstehen, warum der französische Präsident „so etwas“ tut.

Mit Blumensträußen in der Hand waren Neuseeländer zur französischen Botschaft gezogen, als Chiracs sozialistischer Vorgänger François Mitterrand vor drei Jahren die Atomtests suspendierte. An jedem 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, wiederholte sich seither diese freundschaftliche Geste. In diesem Jahr wird der 14. Juli für den französischen Botschafter ein trauriges Ereignis werden: Die Regierung des Gastlandes will seinem Empfang fernbleiben. Geächtet wird das offizielle Frankreich auch von der Geschäftswelt. Von dem bevorstehenden Eß- und Trinkfestival einer großen Bank, die ursprünglich die französische Küche in ihren Mittelpunkt stellen wollte, wurden sie ausgeladen. Boykottaufrufe, wie sie bei den australischen Nachbarn populär sind, haben sich die Neuseeländer jedoch verkniffen. „Wir kritisieren die Politik, nicht das Volk Frankreichs“, heißt es im Außenministerium. Nur ganz wenige Poster gegen die Atomtests kleben an den Mauern der Hauptstadt, und kaum ein Kiwi trägt sichtbare Zeichen des Protestes gegen die Tests. Einzig ein Reisebüro im Stadtzentrum bittet die Kundschaft, ihren Ärger schriftlich auszudrücken, und der Laden einer Naturkosmetikkette hat seine Schaufenster mit T-Shirts von Greenpeace dekoriert. Doch französische Weine und die Duftstoffe der Pariser Nobelmarken gehen weiter über den Tresen. Und in der „Patisserie“ an der Bond Street in der City von Wellington warten mittags die Geschäftsleute weiterhin in einer Schlange auf ihre Quiche Lorraine.

Seit vielen Jahren ist Neuseeland international Vorkämpfer der atomaren Abrüstung. Aus Blockdisziplin ertrug das Land die ersten – US-amerikanischen und britischen – Atomtests im Südpazifik während der fünfziger Jahre. Doch schon 1958 protestierte es gegen die französischen Tests in der Sahara. Alljährlich fordert Neuseeland seither in der UNO einen weltweiten Atomteststopp. In den achtziger Jahren setzte die Labour- Regierung den ANZUS-Vertrag über militärische Zusammenarbeit mit den USA praktisch außer Kraft, indem sie jede Annäherung nuklearbetriebener Schiffe an neuseeländisches Gebiet per Gesetz verbot. Seither gehört der neuseeländischen Regierung ein „Minister für Abrüstung und Rüstungskontrolle“ an, und ein hochkarätig besetztes öffentliches Kontrollkomitee wacht über die Einhaltung des „Entnuklearisierungsgesetzes“. Aus den achtziger Jahren stammt auch der „Vertrag über einen atomfreien Pazifik“, den elf der 15 Mitgliedsländer des pazifischen Staatenbundes unterzeichnet haben – darunter natürlich Neuseeland.

Mit Isolationismus habe dieses Engagement nichts zu tun, heißt es im Außenministerium: „Unsere Armee ist überporportional bei UN-Einsätzen wie dem in Bosnien vertreten.“ Und die Verantwortung für die Inselstaaten im Pazifik, drängt sich geradezu auf. Neuseeland ist der wichtigste Magnet für Immigranten aus Polynesien, Mikronesien und Samoa.

In der nuklearen Frage sind sich alle Neuseeländer einig. Dennoch zweifeln viele Kiwis an den Erfolgsaussichten ihres Engagements. „Wir sind ein kleines Volk“, sagen sie, „ob die Franzosen auf uns hören werden?“ Friedensaktivisten wie Louise beschäftigen sich schon lange mit dieser Frage. „Wir müssen die Franzosen aufklären“, sagt sie. Mit großen Anzeigen in französischen Tageszeitungen und Vorträgen von prominenten Atomtestgegnern wollen sie anfangen, „sobald die großen Sommerferien vorbei sind“.

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