: Ein ganz schön windiges Geschäft
ENERGIE Es war die Verheißung von Autonomie, von Selbstversorgung: das eigene Windrad. Aber das Ding funktioniert nicht. Den prominentesten Hersteller haben die Kunden angezeigt. Die Geschichte einer Illusion
■ Die Idee: Der Markt für kleine Windräder boomt. Das eigene Windrad im Vorgarten soll helfen, die Stromkosten zu senken und weniger abhängig von den Energiekonzernen zu werden. In Deutschland bieten über zwanzig Firmen kleine Windräder mit einer elektrischen Leistung zwischen 100 und 10.000 Watt an.
■ Die Firma: Die Tassa GmbH wurde 2005 in Wolfsburg gegründet. Das Start-up-Unternehmen hat ein innovatives 5-Kilowatt-Windrad entwickelt, dessen Flügel senkrecht um einen Mast rotieren. Für seine Erfindung wurde die Tassa als „Gründer Champion 2009“ von der KfW Unternehmensgruppe geehrt.
■ Der Ärger: Tassa-Kunden beklagen, das Windrad bringe nur einen Bruchteil der versprochenen Leistung. Inzwischen haben sie Betrugsanzeige gegen das Unternehmen erstattet. Die Probleme sind kein Einzelfall. Windkraftforscher warnen, häufig würden Anlagen verkauft, die nicht marktreif sind. In der Praxis würden einige Anlagen nur ein Hundertstel der versprochenen Leistung bringen.
VON TARIK AHMIA
Die Energierevolution für jedermann ist kaum größer als eine Straßenlaterne. Beim Windrad der Tassa GmbH kreisen statt eines Propellers zwei Flügel senkrecht um einen Mast, das Ganze erinnert an ein H, das auf der Spitze des Mastes rotiert.
Tassa-Gründer Volkmar Tetzlaff verkauft diese „vertikale Windkraftanlage“, wie Fachleute die Bauweise nennen. „Das Ei des Kolumbus“, so heißt es in der Werbebroschüre des Wolfsburger Start-up-Unternehmens, mache die „Utopie der persönlichen Energieautonomie“ zur „bezahlbaren Realität“. Bis zu 10.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr soll die „Weltneuheit für Selbstversorger“ produzieren; das entspräche dem Energiebedarf von zwei bis drei Einfamilienhäusern. Zielgruppe sind jene, die „Energie einfach selber machen“ wollen und dafür 30.000 Euro investieren können.
Schon oft konnte das vor fünf Jahren gegründete Unternehmen mit seiner Erfindung glänzen: Vor drei Jahren durfte Tassa-Chef Tetzlaff Bundespräsident Horst Köhler auf einer Afrikareise mit dem Schwerpunkt erneuerbare Energien begleiten, das Deutschlandradio berichtete. Und im letzten Jahr zeichnete die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Tassa GmbH als „Gründer Champion 2009“ in der Kategorie Nachhaltigkeit aus.
Auch Fachleute gaben ihren Segen: „Die Tassa-Anlage ist das Ergebnis bahnbrechender Entwicklungsleistung, dabei preiswert, bestechend einfach und robust“, wird Gunter Brenner, Professor für Strömungsmechanik an der TU Clausthal, in einer Tassa-Broschüre zitiert. Brenners Institut hatte für Tassa aerodynamische Berechnungen durchgeführt. Heute relativiert der Professor dieses Lob: „So blumig hatte ich es nicht ausgedrückt“, sagt Brenner auf sonntaz-Nachfrage. Zwar könne die aerodynamische Grundauslegung des Windrades den Anspruch im Prinzip erfüllen. Doch nun, drei Jahre nach Gunter Brenners Berechnungen, müsse man prüfen, ob Tassa „den Leuten nicht zu viel versprochen hat“.
Die Anlage ist wertlos
Anlass dazu gibt es. Denn keine einzige der gerade mal vier in Deutschland errichteten Anlagen funktioniert auch nur annähernd so, wie es das Unternehmen verspricht. Das berichten Tassa-Kunden übereinstimmend der sonntaz. Sie haben gegen das Unternehmen Strafanzeige wegen Betruges erstattet.
„Meine Anlage dreht sich oft sehr schnell und sollte unter optimalen Bedingungen bis zu 5.000 Watt Leistung liefern“, sagt Claus Hermann, der in windreicher Lage bei Rostock ein Landhotel betreibt. Tatsächlich liefere das Windrad auch bei gutem Wind mit weniger als 200 Watt nicht einmal ein Zwanzigstel davon. Nach einem Jahr praktischer Windraderfahrung hält Maschinenbauingenieur Hermann das Tassa-Windrad für fehlkonstruiert. „Der Wind kann ohne Ende blasen, die Leistung wird aber nicht erreicht“, sagt Hermann. „Die Anlage ist für mich wertlos.“
Auch der Industriekaufmann Horst-Dieter Auth aus dem sachsen-anhaltischen Dörfchen Kerkau hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Mich plagen Albträume, denn das Windrad liefert nur ein paar hundert Watt“, sagt Auth, der einen Selbstversorgerhof betreibt. Für den Vater von sechs Kindern sollte die Tassa-Anlage ein Schritt in Richtung Energieautonomie sein, als er den Kaufvertrag am 9. Mai 2008 unterschrieb. Neben den Baukosten für das Windrad investierte Auth weitere 12.000 Euro, um seine Heizungsanlage für den in Aussicht gestellten Windstrom umzurüsten. Vergebens. „Die Investitionskosten werden sich nicht in hundert Jahren amortisieren“, sagt Auth.
Dabei hätte ein Blick auf die Windkarte des Deutschen Wetterdienstes genügt, um festzustellen, dass Auths Dorf in einer windarmen Region liegt. Zudem ist sein Hof von Bäumen umgeben, die den Windertrag schmälern. Tassa hat ihm die Anlage dennoch verkauft. Das Gutachten, mit dem üblicherweise der erwartbare Windertrag geschätzt wird, unterblieb. „Wir haben uns gutgläubig auf die Seriosität von Tassa verlassen“, sagt Auth.
„Das war sicher kein glücklicher Verkauf“, räumt Tassa-Chef Volkmar Tetzlaff ein. „Herr Auth wollte als ausgemachter Ökofreak die Anlage haben. Daran kann ich heute nichts mehr ändern.“ Den Vertrag will er nicht annullieren. „Wir sind aber bereit, uns mit der Familie an einen Tisch zu setzen“, sagt er.
Im Wesentlichen bestätigt der Tassa-Gründer die vorgeworfenen Mängel. „Es gibt noch keine Anlage, die so funktioniert, wie wir uns das letztlich vorstellen“. Schuld daran sei vor allem das mangelhafte Zusammenspiel der Windradkomponenten, die Tassa von Zulieferern beziehe. „Im Zusammenspiel von Aerodynamik, Mechanik, Energieumwandlung und Elektrik hat es noch gehakt; wir haben dabei zu viel Energie verloren“, sagt Tetzlaff, er verspricht Besserung. „Die Probleme sind nun beseitigt. Die Anlagen unserer Kunden werden kostenlos nachgerüstet.“ Auf einen Termin, bis wann das geschehen soll, will er sich aber nicht festlegen.
Bei seinen Kunden scheint die Geduld für weitere Experimente erschöpft. Schon die Errichtung der Windräder zog sich über Monate hin. „Es war Chaos vom ersten bis zum letzten Tag“, sagt Claus Hermann, der die Stromanschlussarbeiten des als „schlüsselfertig“ beworbenen Windrades selbst zahlen musste.
Auch andere Besitzer eines Tassa-Windrades fordern seit Monaten ihr Geld zurück, bislang erfolglos. Schriftliche Zusagen hat Tassa nicht eingehalten. Seit zwei Monaten warten Georg und Hilke Heissenbüttel auf ihr Geld. Den Geschwistern aus Wangerland bei Wilhelmshaven hatte Tassa schriftlich zugesagt, die geleistete Anzahlung von 10.204,25 Euro bis zum 15. März 2010 zurückzuzahlen. Das Schreiben liegt der sonntaz vor.
Die Leiden der Tassa-Kunden sind in der Branche nicht ungewöhnlich. Tassa ist nur einer von über zwanzig Herstellern in Deutschland, die Kleinwindanlagen anbieten. Weltweit boomt der Markt für Anlagen unter 100 Kilowatt Leistung, allein 2008 legte das Geschäft um 53 Prozent zu. Doch die Probleme mit den kleinen Windrädern sind eher Regel als Ausnahme.
Wichtig ist der Standort
MARTIN PEHNT, PHYSIKER
Eine Befragung durch das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) zeigt, dass Besitzer solcher Anlagen häufig unzufrieden sind. Drei Viertel der Befragten gaben an, ihre Erwartungen an das häusliche Windrad hätten sich nicht erfüllt. „Häufig werden bei Kleinwindanlagen die möglichen Erträge und die Güte des Standortes überschätzt“, sagt Windradforscher Paul Kühn vom IWES. Wichtig ist der Standort. Bei schwachem Wind bricht der Ertrag exponentiell ein: Sinkt die Windgeschwindigkeit auf die Hälfte, liefert die Anlage nur noch ein Achtel der Energie.
Zudem gelten gerade für kleine Windräder besondere Risiken. „Auf niedriger Höhe gibt es weniger Wind und mehr Turbulenzen als bei hohen Anlagen“, erklärt Kühn. Das schmälere ebenfalls den Ertrag. Der Experte empfiehlt, vor der Errichtung eines Windrades ein Jahr lang Windmessungen am geplanten Standort durchzuführen. Als problematisch erweise sich bei kleinen Anlagen auch, dass die Industrie noch in den Kinderschuhen steckt. „Es kommt vor, dass Kunden zu Versuchskaninchen für neue Bauformen kleiner Hersteller werden“, sagt Kühn.
Zu diesem Fazit kommt auch eine aktuelle Studie des Instituts für Energie und Umweltforschung (IFEU), die 23 Kleinwindanlagen vergleicht. Deren Entwicklungsstand, kritisieren die Heidelberger Forscher, sei „bei vielen Anwendungen noch nicht als marktreif zu bezeichnen. Viele Anlagen befinden sich noch im Entwicklungsstadium“. Die Studie dokumentiert, dass das Zusammenspiel der Komponenten auch den Herstellern häufig Schwierigkeiten bereitet. Feldtests hätten „enorme Unterschiede in der Qualität der Anlagen“ deutlich gemacht. Die Versuche „zeigen deutlich, dass die Anlagen im Allgemeinen nicht die beworbenen Erträge erzielen“, resümiert die IFEU-Studie.
„Einige Kleinwindanlagen haben in der Praxis nur ein Prozent der prognostizierten Leistung erbracht“, sagt der Physiker Martin Pehnt, Fachbereichsleiter Energie beim IFEU. Ein Feldtest in den Niederlanden hat besonders Defizite vertikaler Windanlagen offengelegt, wie sie Tassa verkauft: „Vertikale Systeme schneiden im Allgemeinen schlechter ab als horizontale, sind dabei aber deutlich teurer“, schreiben die Forscher.
Uneingeschränkt kann Energieexperte Pehnt deshalb keine Kleinwindanlage empfehlen. „Käufer sollten sich darüber klar sein, dass sie sich in einem Pioniermarkt bewegen. Als Anlageobjekt taugen vertikale Windenergieanlagen heute in jedem Fall noch nicht.“ Aus Pehnts Sicht wäre es wichtig, mit einem unabhängigen Gütesiegel für Transparenz zu sorgen und den Käufern bei der Standortplanung zu helfen. Bislang sei weder die Funktionsfähigkeit noch der mögliche Ertrag einer Kleinwindanlage zertifiziert, obwohl es die Richtlinien dafür schon gibt. „Das ist so, als würden Sie ein Auto ohne TÜV kaufen“, sagt Kühn. Er rät deshalb, nur Anlagen von Herstellern in Erwägung zu ziehen, die Erfahrungen und überprüfbare Referenzen vorweisen können.
Volkmar Tetzlaff zieht es unterdessen auf den Weltmarkt. „Deutschland ist für uns absolut unwichtig“, sagt Tetzlaff der sonntaz. Die Zukunftsmärkte lägen im windreichen Großbritannien, in der Bretagne und den USA. „Da sind wir sehr optimistisch für Tassa.“