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Ein ganz leiser Spitzensport

In Tokio finden die XXV. Deaflympics statt, die Weltspiele der Gehörlosen. Seit 1924 gib es sie

Von Martin Krauss

Es sind Meldungen, die gerade aus Tokio eintrudeln, mit denen die deutsche Sportöffentlichkeit nicht viel anfangen kann. „Gold und Bronze für Deutschlands Bowler“ lautet eine. Oder „Platz 2 und 4 für Deutschlands Sportschützen“.

In Tokio finden derzeit die Deaflympics statt, die Weltspiele der Gehörlosen. Etwa 2.500 Sportler und Sportlerinnen aus 78 Nationen treten in 18 Sportarten an. Es ein olympisches Format, das seit dem 15. und bis zum 26. November in Japans Hauptstadt ausgetragen wird. Nur eben ohne Geschrei und Getöse. Und ohne Gehör zu finden.

Seit 1924 gibt es die Deaflympics als der alle vier Jahre ausgetragene Höhepunkt des Gehörlosensports. Es ist eine Variante des Behindertensports, die nichts mit den Paralympics zu tun hat, und auch mit keiner anderen Organisation, etwa den Special Olympics. In Deutschland ist der Deutsche Gehörlosen-Sportverband auch nicht Mitglied im Deutschen Behindertensportverband. Der Wunsch, eigenständig zu bleiben, dominiert.

Der Gehörlosensport gilt als der älteste eigenständig organisierte Sport von Menschen mit Behinderung. Der Durchbruch fand in Frankreich statt, denn hier gab es schon seit dem späten 18. Jahrhundert eine durchaus sichtbare Community der Gehörlosen. 1834 gründete sich beispielsweise ein Komitee zur Verteidigung der französischen Gebärdensprache. 1899 entstand in Paris der „Club Cycliste des Sourds-Muets“, ein Radsportverein, der – im Unterschied zu anderen Vereinen der damaligen Zeit – auch Frauen aufnahm. Wenige Jahre später gründeten sich zwei weitere Klubs, einer, Saint-Jacques, für bürgerliche Kreise, ein anderer, Asnières, für Sportler und Sportlerinnen aus der Arbeiterklasse.

In Deutschland wurde schon 1888 die „Taubstummen Turnvereinigung Berlin“ gegründet, der vermutlich weltweit erste Sportverein für Taubstumme. 1910 entstand der Verband Deutscher Taubstummen-Vereine für Leibesübungen.

Als Schlüsselfigur der französischen Gehörlosensportbewegung gilt Eugène Rubens-Alcais, ein Metallarbeiter, politischer Aktivist und Radsportenthusiast.

1914 gab er die Zeitung Sportsman Silencieux heraus. Rubens-Alcais nahm sich als organisatorisches Vorbild den Arbeitersport. „Die Arbeiterklasse hat die ‚Fédération sportive du travail‘“, sagte Rubens-Alcais. Und fragte: „Warum sollte es dann nicht einen eigenen Verband für Taubstumme geben?“

Berichterstattung ist in der Medienlandschaft nicht existent

Deutscher Gehörlosen-Sportverband

1918 wurde dann die FSSMF gegründet, die „Fédération Sportive des Sourd-Muets de France“. Aus ihr gingen 1924 in Paris die ersten Deaflympics hervor, die damals noch „International Silent Games“ hießen. 140 Sportler waren dabei, sie kamen aus 9 europäischen Ländern. Die Deutschen waren übrigens nicht zugelassen – ähnlich wie bei den Olympischen Spielen des IOC, die wenige Wochen zuvor gleichfalls in Paris stattgefunden hatten.

Als Motto gab sich die Gehörlosensportbewegung „Per Ludos Aequalitas“, Gleichheit durch Spiele. Von der Durchsetzung ihrer Ziele sind die Gehörlosensportler und -sportlerinnen heute allerdings noch weit entfernt. Naoki Kurano, Chef des Organisationskomitees der Deaflympics in Tokio, sagt: „Die Idee von Herrn Rubens-Alcais ist geblieben: Wir wollen die Gesellschaft verändern!“

Problematisch ist, dass die Mehrheitsgesellschaft davon nicht unbedingt etwas wissen will. 2023 beklagte sich der Deutsche Gehörlosen-Sportverband heftig beim Sportausschuss des Bundestages: „Die Berichterstattung von Sportveranstaltungen ist in der deutschen Medienlandschaft nicht existent.“

101 Jahre Weltklassesport bei den Deaflympics haben daran erst mal nicht viel geändert.

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