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Ein bekennendes Großmaul

Ladenbesitzerin, Fußballerin und Event-Managerin: Das facettenreiche Leben der Hagar G.  ■ Von Andin Tegen

„Ich werde jetzt groß und selbstbewußt“, versprach sich Hagar Groeteke, als sie mit 14 frustriert von ihrer eigenen Schüchternheit ihre Schultasche und die verhasste Brille in die Ecke feuerte. Inzwischen ist sie 34 und ein bekennendes Großmaul – zu allem fällt ihr eine Geschichte ein, was ihr nicht in den Kram passt, wird ausdiskutiert, laut und resolut. Und sie ist Ladenbesitzerin, Radio-Köchin, Fußballerin und Event-Managerin.

Ganz zufällig ist so eine Vita nicht. Zwar besuchte die gebürtige Hamburgerin ein katholisches Mädchengymnasium, aber „ausser dass man auf dem Schulgelände nicht Bravo lesen durfte, wars gar nicht so streng“. Statt Rock und Bluse trägt sie heute stets Basecaps und beschriftete Wollmützen auf dem Kopf, und ihr Sortiment an ausgefallenen Kleidern, so heißt es, ist enorm. Ihre Schlagfertigkeit auch.

Mit ihren links und antirassis-tisch orientierten Eltern wanderte die halbwüchsige Hagar auf Ho-Chi-Minh-Demos mit und las über Che Guevara. Als die Eltern ihren koreanischen Bruder adoptierten, lernten sie und ihre drei anderen Geschwister durch den damals 5-Jährigen Toleranz und was soziale Isolation bedeutet. Um sich vor dem Hunger zu schützen, stahl der kleine Bruder trotz gefüllter Kühlschränke noch jahrelang Nahrungsmittel aus Supermärkten, die dann unter seinem Bett vergammelten.

Mit ihrem humpelnden Rottweiler-Mischling Bonzo lebt Hagar Groeteke in der Hafenstraße. Seit 1992: „Damals war der Senat noch mit dem Rausschmiss der Hafenstraßen-Bewohner beschäftigt“, erinnert sie sich. „Alle Hausbesetzer befanden sich in einem irrwitzigen juristischen Kampf mit der Stadt.“ Vertreiben ließ sie sich nicht. „Ich schätze das Kommunen-Prinzip in unserer Wohngruppe“. Gemeinsam wurde etwa die Entscheidung gefällt, die Leitung der Kampnagel-Gastronomie abzugeben. Die hatte sie zwischen 1984 und 1989 mit einer Gruppe Alternativer übernommen. Doch nachdem die Intendantinnen der Theaterfabrik entlassen wurden, kündigte das Team aus Protest über die neue Führungsschicht und übernahm die Organisation der alternative Kneipe Cocteau auf St. Pauli.

Was sie in der Gastronomie in puncto Organisation professionalisiert hatte, nutzte Hagar Ende der 90er für die Konzeption von Musik-Events. Ihr Frauen-Veranstaltungsteam „Sistars“ gründete sie 1996 mit den Reggae-DJs Sugar Chicken, Yell (Dub me Ruff) und Queen Doreen, um „der weiblichen Musik-Szene eine stärkere Präsenz zu verschaffen“. Da war sie bereits seit einem guten Jahr Geschäftsfrau. In Schanzenviertel betreibt Hagar Groeteke seit Anfang '95 ihre Streetware-Boutique Sisterhood, verkauft schrillen Plastikschmuck und extravagante Turnschuhe. Angestellte kann sie sich nicht leisten, aber sie kommt über die Runden. Nebenher organisiert sie von Reggae-Abenden in der Roten Flora über Benefiz-Veranstaltungen an der Elbe bis hin zum eigenen Wagen beim Berliner „Karneval der Kulturen“ antikommerzielle Festivitäten. Und demonstriert ihre Liebe zur internationalen Küche seit fünf Jahren alle zwei Monate in ihrer Kochsendung beim Freien Senderkominat: Mit der Lokalprominenz, zum Beispiel dem Latin-DJ Basso Profundo, bereitet sie landestypische Gerichte zu und legt die dazu passende Musik auf.

Hagars Leben funktioniert „nach den Regeln eines kleinen autarken demokratischen Systems“. Den Frust über gesellschaftliche Mangelerscheinungen bolzt sie sich gerne auf dem Fußballplatz von der Seele. Seit zehn Jahren hält sie die Position linksaußen im Frauenteam von St. Pauli.

Ihre rauhe Stimme wird auch dann nicht leise, wenn Hagar nachdenklich wird: „Alle, die vor 20 Jahren dem System entflohen sind, um sich revolutionär in der weiten Welt zu verwirklichen, sind dann doch wieder zurückgekommen“, analysiert sie. Und mit 40 hätten dann gerade diejenigen ihre eigene Computer-Firma, die sich für besonders antikapitalistisch hielten. „Man kann seine Wurzeln eben nicht verleugnen“, sagt sie, „und irgenwann mag man einfach nicht mehr bis 4 Uhr morgens in der Kneipe stehen.“ Wenig milde geht Hagar mit Alt-68ern ins Gericht, die das zunehmendende Alter zur liberalen Haltung treibt. „Liberale sind Bildungsbürger, die es sich leisten können, hier und da eine Petition zu unterschreiben, aber keine wirkliche politische Meinung vertreten.“

Die 34-Jährige hingegen macht keine halben Sachen. Und für das, was sie an der Handelsmetropole wirklich hasst, lohnt es sich, immer wieder auf die Barrikaden zu ziehen. Das nächste Ziel ist klar: „Der Individualverkehr in Hamburg beeinträchtigt mich in meiner Lebensqualität. Das muss sich demnächst ändern.“

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