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„Ein anstaltseigenes Fieberthermometer war nicht vorhanden“

■ Ein Insasse einer Drogenklinik, der Karl Bonhoeffer Nervenklinik, Ralf Brommund (31), zum plötzlichen Tod des HIV-positiven Mitinsassen Lothar Böttcher / Brommund zufolge wurde er nicht ausreichend medizinisch versorgt

Am Mittwoch, den 10. Mai, starb im Rudolf Virchow Krankenhaus (RVK) der 41jährige Lothar Böttcher, genannt Fietje. Als Todesursache wird Hirnblutung oder Sepsis vermutet. Böttcher war seit vielen Jahren drogenabhängig und HIV-positiv. Seit Anfang des Jahres saß er aufgrund eines Gerichtsbeschlusses in der Drogenklinik in der Karl Bonhoeffer Nervenklinik (KBoN) ein. Am Sonntag, den 7. Mai, war er plötzlich erkrankt, wurde aber erst am Dienstag einen Tag vor seinem Tod - in das RVK verlegt. Ein Mitinsasse der Drogenklinik, Ralf Brommund, hat nach dem Tod Böttchers Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen Unbekannt gestellt.

taz: Die Insassen der Drogenklinik sind der Auffassung, Böttcher wurde in der KBoN nicht ausreichend medizinisch versorgt bevor er ins RVK verlegt wurde. Warum?

Ralf Brommund: An dem Wochenende vor Fietjes Tod befand ich mich auf der sogenannten Null-Stufe (Stufenplan der Therapie, d. Red.), das heißt Sanktionsstufe, und erfuhr hier, daß der Mitinsasse der hiesigen Anstalt, Fietje, auf der Wohngruppe ärztlich versorgt wird, weil er an einem Leberleiden laboriert. Es wurde sogar speziell eine Toilette verschlossen, die ausschließlich von ihm benutzt werden sollte. Im Laufe des Sonntags verschlechterte sich sein Zustand zusehends nach Aussage von Mitinsassen, die sich ebenfalls auf der Wohngruppe befanden. Der diensttuende Arzt hat nach Aussage der Anstalt wohl Rücksprache mit dem RVK gehalten und anschließend verordnet, daß bei Fietje alle zwei Stunden Fieber gemessen werden soll. Ein Mitinsasse stellte sein Fieberthermometer zur Verfügung, damit das Pflegepersonal der Anordnung Folge leisten konnte: ein anstaltseigenes war nicht vorhanden. Am Montag ging es ihm nach Aussagen von Mitinsassen weiterhin ziemlich schlecht, so daß er nichts essen konnte. Sie stellten ihm wenigstens etwas zu trinken hin. Das Pflegepersonal nahm wenig Notiz von ihm, da man der Meinung war, das er am Dienstag sowieso in das RVK verlegt werden würde. Montag abend ging es ihm dann so schlecht, daß er nicht mehr ansprechbar war und seine Umgebung nicht mehr erkannte. Der diensttuende Nachtpfleger, der sich als sogenannte Nachtwache an sein Bett setzte, äußerte, daß Fietje umgehend ins allgemeine Krankenhaus gebracht werden müsse. Fietje selbst äußerte in klaren Momenten, daß er sicher sei, daß er sterben werde.

Der für die Drogenklinik verantwortliche Leiter der Forensischen Abteilung, Giese, hat gegenüber der taz erklärt, Lothar Böttcher sei ausreichend versorgt worden. Verschiedene Ärzte hätten ihn begutachtet, sogar ein Internist sei herangezogen worden.

Daß er von mehreren Ärzten begutachtet wurde und auch daß ein Internist hinzogen wurde, ist unter den Insassen hier nicht bekannt. Bekannt ist nur, daß er vom Arzt vom Dienst begutachtet wurde, der dann Rücksprache mit dem RVK hielt, aber nicht erkannte, daß die Sache so akut war, daß er sofort hätte verlegt werden müssen.

Seid ihr der Meinung, die Ärzte der Drogenklink sind in allgemein-medizinischen Fragen nicht kompetent?

Die hier tätigen Ärzte - überwiegend Neurologen und Psychiater - sind ausschließlich kompetent, irgendwelche Macken zu behandeln. Die Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, zeigen mir deutlich, daß eine Versorgung im allgemein -medizinischen Bereich nicht gewährleistet ist. Da bekannt war, das Fietje HIV-positiv ist, und der diensttuende Arzt auch eine Lebererkrankung erkannte, hätte aus meiner Sicht eine sofortige Verlegung ins RVK erfolgen müssen. Hier scheint es jedoch Priorität zu ein, erst einmal alles als Simulation zu deuten, wenn jemand eine organische Krankheit anzeigt.

Wie könnte eine bessere Versorgung gewährleistet werden?

Den Leuten, die hier zwangsweise leben, muß dieselbe medizinische Versorgung zuteil werden, wie den Leuten draußen, wobei dem Problem „HIV-positiv“ wesentlich mehr Beachtung geschenkt werden muß. Es kann nicht angehen, daß Menschen, bei denen die Immunschwäche Aids bereits ein bestimmtes Stadium erreicht hat, noch verbal gezwungen werden, an einem bestimmten Behandlungskonzept zur Rehabilitierung ihrer Drogensucht teilzunehmen, wenn abzusehen ist, daß sie sowieso in absehbarer Zeit sterben werden.

Was hat Dich dazu bewogen, Strafanzeige wegen unterlassener Hilfleistung und fahrlässiger Tötung zu erstatten?

Das Ganze muß überprüft werden, damit schneller gehandelt wird. Beim nächsten Mal kann es irgendein anderer sein, das kann ich nicht einfach hinnehmen.

Interview: plu

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