■ OSZE-Chef Cotti will die Wahlen in Bosnien verschieben: Ein Zeichen der Vernunft
Da hatte man schon geglaubt, in den internationalen Organisationen sei Zivilcourage zu einem Fremdwort geworden, aber nun beweist der Schweizer Außenminister Flavio Cotti, daß er genau das besitzt – Zivilcourage. Cotti, der gleichzeitig Vorsitzender der Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa (OSZE) ist, tritt für freie und faire Wahlen in Bosnien-Herzegowina ein. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden, will er die Wahlen verschieben. Nun sollte man meinen, das sei selbstverständlich, doch Cotti muß sich gegen massiven Widerstand aus den USA, der EU und des OSZE-Chefs in Sarajevo, des Amerikaners Robert Frowick, behaupten.
Fassungslos soll US-Außenminister Warren Christopher angesichts der Prinzipienfestigkeit des Schweizers gewesen sein. Denn die Clinton-Administration will das Bosnienthema unbedingt im Wahlkampf ausschlachten: Der Präsident habe mit dem Dayton-Abkommen und dem Einsatz des US-Militärs für den Frieden in Bosnien gesorgt, wird es heißen. So was macht sich immer gut. Würden die Wahlen verschoben, trübte sich das geschönte Bild. Dann wäre auch der termingerechte Rückzug der Truppen in Frage gestellt. Dann müßte die internationale Gemeinschaft ernsthaft diskutieren, ob die Wahlprozedur, wie sie in Dayton beschlossen wurde, tatsächlich der Entwicklung echter demokratischer Verhältnisse in Bosnien-Herzegowina dient oder lediglich die nationalistischen Extremisten aller Seiten stützt.
Alle beteiligten Diplomaten und Politiker wissen, daß die Wahlen nur die Extremisten stark machen, solange den Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatorte verwehrt wird und solange es keine freien Medien gibt. Wenn aber genau dies passiert, wird die Teilung des Landes zementiert. Und das birgt die Gefahr eines neuen Krieges in sich. Davor warnt nicht nur der bosnische Expremier Haris Silajdžić, sondern alle demokratischen und nichtnationalistischen Parteien in Bosnien-Herzegowina, das Helsinki-Komitee sowie jene Mitarbeiter internationaler Organisationen, denen Bosnien mehr ist als ein Wahlkampfthema. Aber wen interessiert das schon, wenn es um die eigenen Interessen geht?
Hut ab vor Flavio Cotti. Aus der multiethnischen, multireligiösen und mehrsprachigen Schweiz kommt ein Zeichen der Vernunft – hoffentlich nicht wieder zu spät. Setzten sich dagegen Clintons Wahlkampfstrategen durch, wären die internationale Aktion und das Abkommen von Dayton in der Substanz gefährdet. Erich Rathfelder
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