Ein Wurm will nach oben

Fadenwürmer töten Schädlinge ökologisch korrekt und lassen die Umwelt in Ruhe  ■ Von Doris Schneyink

„Sind sie nicht elegant?“ fragt Stefan Johnigk und beugt sich übers Mikroskop. Seine Begeisterung gilt den weißlichen Fadenwürmern, die zu Hunderten aus dem rötlich verfärbten Kadaver einer Wachsmottenlarve kriechen. Johnigk ist Diplomand am Phytopathologischen Institut der Universität Kiel und erforscht Fadenwürmer. Die winzigen Parasiten sind nicht mal einen Millimeter groß, kriechen milliardenfach im Erdreich umher, und einige Arten tun genau das, was das Pflanzenschutzgesetz von Pestiziden verlangt. Sie töten gezielt Schädlinge wie zum Beispiel die Larven des gefräßigen Dickmaulrüsslers und lassen die Umwelt in Ruhe. Das Vorgehen der Parasiten ist ebenso komplex wie raffiniert: Sobald der Fadenwurm durch Mund, After oder Haut in das Wirtinsekt eindringt, setzt er Bakterien frei, mit denen er in Symbiose lebt, und beginnt zu fressen. Die Bakterien vermehren sich, legen das Immunsystem des Schädlings lahm und hemmen andere Fremdbakterien mit selbstproduzierten Antibiotika. Spätestens nach zwei Tagen ist das Opfer tot; der Fadenwurm frißt die zersetzten Organe und vermehrt sich in dem Kadaver. Ist das Wirtinsekt verzehrt, kriechen Hunderte von Würmern aus ihm heraus und machen sich auf die Suche nach neuen Opfern.

Die Vorteile gegenüber chemischen Pestiziden liegen auf der Hand: keine giftigen Rückstände im Grundwasser und im Boden, keine Gefahr für die Mitbewohner im Ökosystem Erdreich oder den Menschen – die Würmer können sich bei unserer Körpertemperatur nicht vermehren. Weil die Würmer aktiv auf Schädlinge losgehen, kriegen sie fast alle: Bei den Larven des Dickmaulrüsslers sind es bis zu 90 Prozent. Der Wirkungsgrad vieler chemischer Mittel ist dagegen deutlich niedriger. Die bisher erfolgreichsten Fadenwurmstämme hören auf die Namen Steinernema und Heterorhabditis; theoretisch könnte man jedoch noch andere Stämme durch Kreuzung und Selektion zu hochspezialisierten Killern heranzüchten. Wird der Fadenwurm zum Shooting-Star der internationalen Pestizid-Szene?

Er könnte und er müßte. Findet jedenfalls Ralf-Udo Ehlers, der die Forschung in Kiel aufgebaut hat. Sein Kalkül ist einfach: Je härter die Auflagen für chemische Pestizide werden, desto intensiver muß man sich um biologische Alternativen kümmern. In den vergangenen zehn Jahren sank die Zahl der zugelassenen chemischen Pestizide von 1.800 auf 900; im gleichen Zeitraum kletterten die Kosten für die Entwicklung neuer Mittel von 100 Millionen auf 300 Millionen Mark. Für Kulturen wie Gemüse, Obst und Zierpflanzen entwickelt die Chemieindustrie kaum noch neue Pestizide, weil die Märkte unter den neuen Bedingungen zu wenig Profit abwerfen. In einige dieser Lücken, so hofft Ehlers, sollen seine Fadenwürmer kriechen, denn irgend etwas müßten Landwirte, Gemüse- und Obstbauern, Golfplatzwarte und Baumschulenbesitzer ja auf ihre Felder sprühen.

Ganz ähnlich wie Ehlers kalkulierte auch die amerikanische Firma Ecogen, die ihr Geld hauptsächlich mit der Herstellung des biologischen Larvenkillers Bacillus thuringinesis verdient. Ecogen zog ins schleswig-holsteinische Raisdorf gleich neben das Labor von Ehlers und übernahm einen Teil der Forschungskosten. Der Fadenwurm-Standort Deutschland schien in greifbarer Nähe.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Zwei Probleme muß der Fadenwurm lösen, wenn er Karriere machen will: seine eigene Fortpflanzung und die Zwänge der Marktwirtschaft.

Problem Nummer eins: Fünf Milliarden Fadenwürmer muß der Bauer auf einem Hektar Land versprühen, um die Larven erfolgreich zu bekämpfen. In solchen Mengen rückt die Natur sie aber nicht heraus. Ehlers entwickelte ein Verfahren, um den Fadenwurm wie jedes andere Massenprodukt „in Serie“ herzustellen. Sein Institut in Raisdorf liegt in den Räumen einer ehemaligen Alkoholfabrik. Wo früher „Schwarzer Kater“ gebrannt wurde, steht heute ein 500-Liter-Bioreaktor, in dem die Würmchen schwimmen und sich optimal vermehren. Gut zwölf Tage dauert es, bis die erste Generation der Nachkommen da ist, Hermaphroditen zumeist, das heißt Weibchen, die Spermien in sich tragen und sich selbst befruchten könnnen. Das ist auch gut so, denn Männchen und Weibchen hätten wenig Chancen, sich in der permanent umgerührten Flüssigkeit zu paaren. „Die rutschen voneinander ab“, sagt Johnigk. Ein Teil der Forschung in Raisdorf konzentriert sich darauf, den Hermaphroditismus der Nachkommen zu sichern. Das bisher beste Produktionsergebnis waren 200.000 Fadenwürmer pro Milliliter Nährlösung. Doch nach der „Ernte“ beginnen die nächsten Schwierigkeiten: Das Produkt ist lebendig, es kann nicht so einfach transportiert und gelagert werden wie ein chemisches Mittel. „30 Grad im hintersten Regal eines Gartenbaucenters – das überleben die Viecher nicht“, sagt Johnigk. Man muß die Fadenwürmer entweder in Flüssigkeit unter Sauerstoffentzug lagern oder in Tonerde oder Gelee einkneten. Die Suche nach der optimalen Formulierung ist noch längst nicht abgeschlossen.

Das Problem seiner massenhaften Fortpflanzung scheint der Fadenwurm also durchaus in den Griff zu bekommen, schwieriger wird es bei der Marktwirtschaft. „Biologischer Pflanzenschutz wird immer teuer sein als chemischer“, sagt Ralf-Udo Ehlers. Chemiekonzerne wie Ciba Geigy vertreiben zwar zwei Sorten der Fadenwürmer. Selber forschen und größere Märkte anpeilen will man aber nicht. „Zu aufwendig“, sagt Cibas Sprecher Jörg Albrecht. „Investitionen müssen sich schließlich amortisieren.“ Biologische Mittel machen nicht mal ein Prozent des Gesamtumsatzes bei Pflanzenschutzmitteln in Deutschland aus. Und das, obwohl der Staat per Gesetz die Anwendung der Chemokeulen auf das „notwendige Maß“ beschränkt wissen wollte und biologischen Mitteln den Vorrang gab. Professor Jörg Huber von der Biologischen Bundesanstalt in Darmstadt hält den Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie für ein politisches Problem: „Entweder muß eine Umweltsteuer her, die den Einsatz von Chemie teurer macht, oder es müssen Subventionen her, die den Einsatz von Fadenwürmern oder ähnlichen Mitteln billiger machen“, so Huber.

Daß es mit der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie nicht klappt, hat Ehlers jetzt schmerzlich zu spüren bekommen: Ecogen ist aus der gemeinsamen Forschung ausgestiegen. „Die haben hier Know-how abgezogen“, sagt Ehlers, und er müsse sich jetzt nach neuen Geldgebern umsehen. Einige seiner Doktoranden arbeiteten für Ecogen und stehen nun ohne einen Pfennig da. Ihre Hoffnung, sich von Fadenwürmern langfristig ernähren zu können, hat sich zunächst einmal zerschlagen.