Ein Wiedersehen mit Helmut Kohl

MEDIALE INTERVENTIONEN Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Formate des WIR“ stellte das Lichtblick-Kino Beiträge der Kino-Aktivisten von AK Kraak und A-Clip vor. Es ging um die künstlerische Praxis im Nachwende-Berlin

Es gibt einen Agitpropbesetzerfilm mit Bildern von „Raumschiff Enterprise“

VON DETLEF KUHLBRODT

Es ist die Zeit der vielen Rückblicke; Ende letzten Jahres erinnerte Falko Seidels Dokumentarfilm „Unverwüstlich“ an die Geschichte des Tacheles. Im Januar ging’s mit Wolfgang Müller zurück in die Achtziger des alten Westberlin. Vor ein paar Wochen erschien Ulrich Gutmairs Buch „Die ersten Tage von Berlin“, das von den neunziger Jahren erzählt. Und noch bis zu Honeckers Geburtstag am 25. August erinnert die schöne Ausstellung im Bethanien „Wir sind hier nicht zum Spaß“ an „kollektive und subkulturelle Strukturen im Berlin der neunziger Jahre“. Im Rahmen der Ausstellung wurde auch der Film „I’m glad, I can’t remember“ von Tine Neumann und Alexandra Klaus gezeigt, der wesentliche Netzwerke der Ausstellungs- und Clubkultur nach dem Mauerfall in Berlin-Mitte dokumentiert.

„Formate des WIR“ ist nun als eine „diskursive Veranstaltungsreihe“ betitelt, die sich um „aktuelle Perspektiven auf künstlerische Formationen, kollektive Aktivitäten und Arbeitsansätze seit den sechziger Jahren in Berlin“ kümmert. Der erste Teil der Reihe fand Ende Mai in der Staatsgalerie in Prenzlauer Berg statt und handelte unter dem Motto „WIR vs. ICH“ von kollektiven künstlerischen Ansätzen im Ostberlin der Achtziger.

Im zweiten Teil, am letzten Sonntag im „Lichtblick-Kino“ in der Kastanienallee 77, ging es um Videomagazine und Kinoaktivisten – Mediale Interventionen und alternative Distributionsformen im Kontext des innerstädtischen Stadtumbaus im Nachwende-Berlin.

Vorgestellt wurden Beiträge des 1990 gegründeten Videokollektivs „AK Kraak“, dessen gleichnamiges Magazin („AK“ stand dabei für „Aktuelle Kamera“) monatlich in besetzten Häusern und linken Kneipen aufgeführt wurde und so im Prä-Internetzeitalter den Austausch unter den Aktivisten und den Zusammenhalt der sozialen Bewegung förderte. Außerdem gab es Clips des Projekts „A-Clip“ zu sehen. Zwischen 1997 und 2003 schleusten die aus dem Kunstumfeld stammenden Aktivisten mit Hilfe sympathisierender Kinovorführer etwa 50 Sekunden lange politische Clips ins Vorprogramm von Kinovorführungen. Die einzelnen Clips wurden dabei zwischen die vor dem Film gezeigten Werbeclips eingeschnitten.

Das schöne kleine Kino war gut gefüllt. Die Zusammenstellung von AK Kraak und A-Clip dauerte fast zwei Stunden und machte ein bisschen nostalgisch, weil das Filmmaterial so angenehm lebendig, verpixelt, teils verschwommen war – und es auch viel Freude machte, noch mal zu sehen, wie Helmut Kohl im Mai 1991 mit Eiern beworfen wurde. Es war interessant, die ungehübschten Bilder zur Räumung der Mainzer Straße aus dem gleichen Jahr zu sehen; die Kommentare der Aktivisten zu hören, die in der Zeit, die einem rückblickend als frei und offen für Veränderung erscheint, der Staatsgewalt vorwerfen, jedweden Widerstand mit ihrer „Gewaltmaschine“ ersticken zu wollen; an die besetzerinternen Diskussionen um Repräsentation, Verträge, Besetzer-Rat etc. erinnert zu werden. An humorvolle Aktionen, bei denen Aktivisten das Pippi-Langstrumpf-Lied neu vertonten; an Fake-Kongresse in leerstehenden Häusern. Es gibt einen kleinen Agitpropbesetzerfilm mit Bildern von „Raumschiff Enterprise“ usw.

Die interventionistischen A-Clips, die vor allem für die Anliegen von Flüchtlingen und illegalen Leuten werben, sind besonders schön anzuschauen, da sie in ihrem natürlichen Umfeld, das heißt zwischen Filmtrailern und zusehends selbstironischer werdenden kommerziellen Werbeclips gezeigt werden. Wie unterhaltsam die Werbungen für die Berliner Zeitung und natürlich auch der für Zigaretten gewesen war, hatte man schon völlig vergessen.

Nach dem Filmgucken traf man sich noch in der Gemeinschaftsküche der Kastanienallee 77. 1992 wurde das Haus, in dem sich auch das Lichtblick-Kino befindet, besetzt. Zur Zeit wohnen 21 Leute dort. Um den Kollektivgedanken zu stärken, haben die Einzelwohnungen weder Bad noch Küche. Jeden Tag wird von der Kochgruppe gekocht und man isst in der Gemeinschaftsküche, die wirkt, als hätte sie vor 15 Jahren nicht anders ausgesehen als jetzt, also doch anders als in ehemals besetzten Häusern in Kreuzberg, aber die wurden auch 15 Jahre früher besetzt. Es gab Suppe, Leute von AK Kraak und A-Clip erzählten noch einmal, wie es war.

Das „Wir“ im Titel der Veranstaltungsreihe – was damit gemeint ist und wie sich das anvisierte „Wir“ der Formate von AK Kraak, A-Clip, gegenwärtigen Aktivisten und der SPD-Wahlwerbung eventuell unterscheidet oder was diesem „Wir“ entgegensteht (es ist ja nicht nur das „Ich“, sondern auch das „Ihr“), wurde dabei kaum thematisiert.

■ Nächster Teil der Reihe am 17. 8. ab 13.45 Uhr Ausland, Lychener Str. 60: Fahrradtour zu Wohn- und Arbeitsprojekten seit den Nachwendejahren. Anmeldung unter info@formatedeswir.net