: Ein Wettkampf unter Lügnern
■ Neu im Kino: „Scharfe Täuschung“ von Jonas & Joshua Pate. Ein spitzenmäßiges Vergnügen an den Verstrickungen der anderen
Ein Mordverdächtiger, zwei ihn verhörende Polizisten und ein Lügendetektor: Im Fußball würde man dies eine Standardsituation nennen. Im Genrefilm ist es eine von den immer wieder bemühten Grundkonstellationen, die streng nach film-noir-Zitat und Klischee riechen. In „Scharfe Täuschung“ der Brüder Jonas und Joshua Pate erstrahlt das alte Muster in frischem Glanz. Ihre Rollenmodelle sind dabei offensichtlich die Coen-Brüder. Wie diese arbeiten sie zusammen an Drehbuch und Regie, wie diese versuchen sie das Genre des Kriminalfilms neu aufzumischen, und wie diese wollen sie unbedingt in ihrem zweiten Film (nach „The Grave“) so viele cinematographische Tricks unterbringen, wie nur möglich. Von dem Debütfilm der Coens „Simple Blood“ blieb als stärkster Eindruck eine Kamerafahrt über einen Bar-Tresen im Gedächtnis. Bei „Scharfe Täuschung“ ist es eine Einstellung in Dreifachbelichtung, mit den drei Protagonisten in extremen Nahaufnahmen, wobei dann die beiden Polizisten langsam ausgeblendet werden, bis Tom Roth im Zentrum aus dem Schwarz heraus schön böse in die Kamera blickt. Zum Glück sind die Pate-Brüder nicht nur an der Kamera entfesselt, sondern sie spickten auch die Geschichte mit einer Vielzahl von Finten, Pointen und absurden Details.
Der Originaltitel „Liar“ bringt den Film auf den Punkt: Tim Roth spielt den des Mordes an einer Prostituierten verdächtigen John Walter Wayland, einen reichen, verschlagenen, und hochintelligenten Lügner, der extrem ausgefeilte Intrigen spinnt, um die Polizisten und den Lügendetekor auszutricksen. Seine Gegner sind die Detectives Kennesaw und Braxton, die beide von Schauspielern verkörpert werden, die in früheren Filmen fast ausschließlich die Bösen spielten. Chris Penn war einer der „Reservoir Dogs“, Michael Rooker spielte gar die Titelrolle in „Henry: Portrait of a Serial Killer“. Und dies ist nur eine der vielen (falschen?) Fährten, die Jonas und Joshua auslegen. Rückblenden darf man als Zuschauer ebensowenig trauen wie den Konventionen des Genres. Die Glaubwürdigkeit darf hier nicht „ihr häßliches Haupt erheben“ (Hitchcock).
Das Katz- und Mausspiel wird schnell so irrwitzig und hanebüchen, daß man es schnell als leeres, hochkompliziertes Verwirrspiel abtun würde, wenn Tim Roth den Bösewicht nicht als einen so faszinierend, undurchschaubaren Manipulator spielen würde. Auch sonst geht seltsamerweise die ganze filmtechnische Angeberei nicht auf Kosten der Schauspieler. Mit Rosanna Arquette, Ellen Burstyn und dem Jungstar Renee Zellweger (“Dazed and Confused“, „Jerry Maguire“) in den Nebenrollen haben die beiden ein erstklassiges Ensemble versammelt. Es spielt ohne jedes Augenzwinkern: Der Zuschauer selber muß den Witz der Geschichte erkennen. Je tiefer und schlimmer sich die Figuren in den Fäden der Intrigen verstricken, desto größer wird unser Vergnügen. Jonas und Joshua Pate scheinen zwei Brüder mit einem boshaften, fast zynischen Humor zu sein. Aber vielleicht ist auch das nur gelogen.
Wilfried Hippen
tägl. im Cinema und Filmstudio
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