: Ein Wald lichterloh brennender Zeichen
NSK Die Band Laibach inspirierte den Kunststaat „Neue Slowenische Kunst“. Der Kongress seiner Staatsbürger ist ab heute in Berlin
VON ALEXANDER PEHLEMANN
Seine Bürgerschaft wächst ständig, doch sein Territorium ist temporär und winzig. Heute kehrt der NSK-Staat – 17 Jahre nach seiner Erstinstallation – nach Berlin zurück. Im Oktober 1993 hatte das Kollektiv Neue Slowenische Kunst die Berliner Volksbühne zum Staatsterritorium deklariert und Pässe an Neubürger verteilt. Nun wurde das Haus der Kulturen der Welt zum zeitweiligen Staatsgebiet auserwählt. Der Name des Veranstaltungsortes passt zum übernationalen Anspruch des allein in der Zeit und ohne Raum existierenden NSK-Staates. Über seine zukünftige Gestalt will nun eine Gruppe internationaler Delegierter drei Tage lang beraten.
Gegründet wurde der Kunst-Staat NSK 1992 im Umfeld der Industrial-Band Laibach aus Slowenien. Laibach trat im September 1980 in der Industriestadt Trbovlje erstmals in Erscheinung und kassierte wegen ihrer militanten Affirmation totalitärer Ästhetik ein zehnjähriges Auftrittsverbot in Jugoslawien.
Punk mit Nazi-Provo
Für die Gruppe war Staat von Anfang an ideologisches Leitthema. Sie antizipierten den kulturellen Prozess der Nationsformung des heutigen EU-Mitglieds Slowenien mit feinem Gespür für die ihr innewohnende Willkür der Zeichensetzung. Die von ihnen benutzten überstark inszenierten totalitären Zeichen mussten stets von den bombastisch erschlagenen Betrachtern selbst gedeutet werden.
Diese Überwältigungsstrategie speiste sich aus der Energie des Punk. Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek hatte Punk gar einmal als Lokomotive der Demokratisierung bezeichnet. In ihr Konzept bezogen Laibach und NSK radikale Teile des Post Punk – wo Joy Divison oder DAF provokant mit Nazi-Chic flirteten – ein. Gleichzeitig rezipierte man als selbsternannte „Retrogarde“ Marcel Duchamp und Kasimir Malewitsch, Futurismus, Soz-Art, Historienkitsch, Volkskunst. Das war ein lichterloh brennender Wald an Zeichen, in dem es gewaltig rhythmisch ächzte. Neben Laibach gehörten zum hierarchisch geordneten Organigramm der NSK noch Abteilungen für Kunst, die mittlerweile etablierte und am Berliner Kongress beteiligte Malergruppe IRWIN, zudem Theater, Philosophie und Design.
Letzterer, dem Neuen Kollektivismus Studio, gelang auch der größte NSK-Coup, als sie 1987 den Wettbewerb zum sozialistischen „Tag der Jugend“ gewann – mit einem lediglich in den Symbolen geänderten Nazi-Plakat. Worauf das die Landesteile an Titos Geburtstag in einem Staffellauf vereinigende Großereignis abgesagt wurde. Es war ohnehin vorbei mit Einigkeit und Brüderlichkeit.
Ob Laibach/NSK aktiv an der Zerstörung Jugoslawiens beteiligt waren oder eher sensibel wahrnehmende und brachial sich äußernde Warnboten, darüber lässt sich diskutieren. Die Ausrufung des virtuellen Staates NSK scheint jedenfalls eine adäquate Reaktion auf die Vorgänge in der Region: ein utopisch-künstlerischer Gegenentwurf, der temporär mit Botschaften auftaucht und Dokumente aushändigt.
Der Pass als Lebensretter
Im Bosnienkrieg retteten diese absurderweise sogar Leben, als im Chaos für kurze Zeit auch mit NSK-Pässen westliche Grenzen passierbar waren. Aber eine Jugo-Retrospektive auf Laibach und NSK verengt zu sehr, wie kürzlich das dreitägige Symposium zu 30 Jahren Laibach in Trbovlje eindrucksvoll bewies. Laibach/NSK stellen sich immer neu den großen Themen Kapital, Religion, Krieg, Nationalismus und Nationalstaats-Revival.
Dass es heute tausende NSK-Bürger weltweit gibt, aus denen die Delegierten des Kongresses ausgewählt wurden, hat natürlich mit der Popularität von Laibach zu tun. Für die geballte Kreativität im Staate wurde dabei ein Plakatwettbewerb ausgelobt. In Berlin werden nun „Volk Art“ und Filme der NSKler zu sehen sein, die NSK-Expertin Inke Arns und der Moskauer Galerist und NSK-Botschafter Viktor Misiano werden das Staatsgebilde theoretisch durchleuchten. Um den zukünftigen Weg dürfte allerdings heftig gestritten werden, das deutete sich in Trbovlje schon an. Dort fiel sogar der Vorwurf, der neue Staat sei nicht demokratisch genug legitimiert. Es ist nicht leicht, einen Staat zu bauen, ob von oben oder von innen.
■ 21.–23. Oktober, Haus der Kulturen der Welt, Berlin. congress.nskstate.com