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■ Ein Versuch über die feinen UnterschiedeSylt retten!

Das konnte nicht gehen, und es ging nicht, natürlich nicht: Wirft man Perlen vor die Säue? Öffnet man das Haus auf dem Hügel in Bayreuth am Premierenabend für den Plebs? Den Bundestag für Dauerarbeitslose? Das Casino in Baden-Baden für Sozialhilfeempfänger?

Sylt ist für die Feinen – daß die Insel auch eine für die Schönen sei, war immer ein von den Feinen inszenierter und selbsterhöhender Schwindel. Sylt ist für die mit dem ganz großen Geld. Sylt ist, wo sie dich ein bißchen schief angucken, wenn du mit einem „Golf“ kommst. Sylt ist der Prototyp der plutokratischen Exklave in einer Republik, die sich für durchgängig demokratisch hält. 1,3 Mio. zzgl. MwSt. für 95 qm „unter Reet“. Kauft man dafür nicht auch Ruhe vor den Prolls?

Die Deutsche Bahn, das „Unternehmen Zukunft“, hat diese betuchte Homogenität nachhaltig gestört und im vergangenen Sommer pro Wochenende bis zu 6.000 Spar- Urlauber auf die Insel gekarrt. Für 30 Mark konnten Krethi und Plethi ein Ticket kaufen und sage und schreibe zu fünft nach Sylt fahren: Mami, Papi, zwei Gören und Oma, morgens hin, abends heim. Billige Jakobs fielen auf Sylt ein! In der Friedrichstraße in Westerland wurden „Kaufhof“-Textilien getragen!

Mehr noch: Man sah, ekelhaft, Menschen, die mitgebrachte Brote verzehrten! Kinder, die sich ganz ohne Kurkarte ins Wasser zu stehlen versuchten! Hungerleider, die sich eine lausige Bratwurst mit Pommes gönnten, und das war alles, ehe sie am Abend wieder verschwanden. Indignierte Blicke aus Ferraris und Porsches. Wütende Stellungnahmen von Gastronomen. Ernste Bedenken auch bei sozialdemokratischen Kommunalpolitikern. Besorgte Image-Erwägungen von Kurdirektoren: War nicht der Einfall von bis zu 6.000 Unterlingen wochenendlich so desaströs wie für ein Fürstentum der Umzug der Jungs und Deerns aus der Hamburger Hafenstraße in die Nachbarschaft von Schumi nach Monaco? Nahm nicht, indem sich offenkundig ärmliches Großstadtvolk auf Sylt herumtrieb, der noble Ruf der Insel irreparablen Schaden?

Die Deutsche Bahn, das „Unternehmen Zukunft“, war als Transporteur der Anspruchslosigkeit unter Syltern so beliebt wie die Cholera. Ihrerseits hatte die Deutsche Bahn, das „Unternehmen Zukunft“, die ärgsten Schwierigkeiten, die Nachfrage lufthungriger Armseligkeit nach Spar-Tickets zu befriedigen. Weil – wußte man das nicht immer? – die „Kaufhof“- und „Aldi“-Klientel keinen Takt besaß und nicht kapierte, wo sie willkommen war und wo nicht, hörte sie gar nicht auf, ihre Ramsch-Tickets zu kaufen.

Man wird wieder Ruhe haben vor dem gesellschaftlichen Abschaum. Sozialdemokraten – wer auch sonst? – sorgen dafür, denn Sozialdemokraten wissen spätestens seit Herrn Helmut Schmidt, wem sie politisch dienen. Der sozialdemokratische Verkehrsminister von Schleswig-Holstein, Herr Peer Steinbrück, hat „dringenden Handlungsbedarf“ entdeckt und ist entschlossen, die Flut der Billig- Bahntouristen 1996 zu stoppen. Die sollen dann wieder an ihre Baggerseen, wo sie hingehören. Sylt bleibt fein. „Rettet Sylt!“

Der Vorgang ist kotzwürdig und sagt über die soziale Befindlichkeit dieser Republik mehr aus, als, sagen wir mal, fünf „Monitor“-Sendungen des tapferen Herrn Bednarz vom WDR.

Andererseits, denn die Welt ist immer noch ein bißchen bescheuerter, als man sie sich so dachte: Die Billigheimer vom vergangenen Sommer mit ihren 30-Mark- Tickets der Bahn für fünf Personen dürfen nicht nur, sondern müssen sich an der Erhaltung der Insel beteiligen, auf der sie so willkommen wie der Keuchhusten sind. Denn Sylt sahnt ab. Für Sandvorspülungen, die den Abtrag der Strände und das Meeresnagen an der Küste verhindern wollen, machen die Sylter alljährlich zweistellige Millionensummen aus öffentlichen Haushalten locker; im Ernst: die Insulaner, die sich in jedem Sommer – und in der stetig länger werdenden Vor- und Nachsaison – eine goldene Nase verdienen und, übrigens, zu Hunderten verbotswidrig Keller- und „unter Reet“ auch Bodenräume zu grotesken Preisen vermieten, lassen sich die Unversehrtheit ihres Wuchers vom Staat garantieren. „Rettet Sylt“ – mag jemand, wo deutsche Erde gefährdet ist, widersprechen?

Sie sollen sich gefälligst selber retten und ihren Schutz vor dem Meer aus eigener Tasche bezahlen. Der zweistellige Millionenbetrag, für den in jedem Jahr wieder zum Zweck der Inselsicherung rund um Sylt eine Menge Sand bewegt wird, kann und sollte mühelos im Wege einer Umlage von jenen eingezogen werden, die sich sommers die Nähe der anderen verbitten, von denen bislang das Geld für die Sandvorspülungen kam. Wären Sozialdemokraten, für ein kurzes Weilchen noch in Kiel die Regierungspartei, ihren guten, alten Namen wert, würden sie morgen initiativ, um das durchzusetzen. Sie würden, gäbe es noch eine Sozialdemokratie, ferner dafür sorgen, daß auch im nächsten Jahr wieder bis zu 6.000 Menschen und womöglich noch mehr aus heruntergekommenen Großstadtquartieren an jedem Wochenende preiswert nach Sylt und an die belebend frische Meeresluft fahren können. Sie würden sogar vielleicht auf der Insel eine kleine Kampagne machen, zum Beispiel mit einer Postwurfsendung, so daß sie in allen Häusern zwischen List und Hörnum lesen müßten: „Habt Ihr eigentlich gar keine Scham?“

Aber moderne Sozialdemokraten machen derlei nicht mehr. Moderne Sozialdemokraten kuscheln lieber in der politischen Mitte, zu der sich gewiß auch die in den Sylter Häusern „unter Reet“ zählen.

Was also tun?

Nur Visionen, gänzlich unrealistisch, bleiben: Irgendwann im nächsten Sommer, vorzugsweise ganz am Anfang der Saison, wenn Kurdirektoren und Gastronomen und Zimmervermieter und Hoteliers händereibend darauf warten, daß sich bei der Ankunft des ersten Gästeschubs die Insel ein bißchen absenkt, macht sich der große, der ganz große, der riesige Proletentreck – auf nach Sylt! Mal gucken, wie die Häuschen so aussehen, die 4,5 Mio. zzgl. MwSt. kosteten und elf Monate im Jahr leerstehen. Mal die Gastronomen besuchen, die über die Nähe von Zahlungsunfähigen wütend werden. Mal in den Kursaal von Kampen setzen, friedlich, friedlich und nur so. Mal bei Buhne 16 vorsprechen, wo sich Deutschlands Möchtegern-Elite, nicht immer schön anzusehen, nackt die Ehre gibt. Mal erleben, wie sie die 450 PS in Gang setzen, um Brötchen zu holen. Mal die armen reichen Sylter Würstchen ein bißchen in sachdienliche Gespräche verwickeln.

Man könnte ja so etwas wiederholen, immer wieder und immer wieder, denn, nicht wahr: Tugend will ermuntert sein.

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