INTERVIEW: Ein Unding, wenn Recht und Gesetz nicht mehr durchgesetzt werden können
■ Burkhard von Walsleben (48), Landesvorsitzender der »Gewerkschaft der Polizei« (GdP), zu den Angriffen auf ein Asylbewerberheim in Rostock
taz: Sind Ausschreitungen wie in Rostock auch in Berlin denkbar?
Burkhard von Walsleben: Das denke ich nicht. Wir sind in der Lage, innerhalb der Stadt schneller zu reagieren als die Polizei in Rostock.
Wie beurteilen Sie die chaotische Einsatzführung der Polizei in Rostock?
Mir fehlt zwar das Detailwissen, aber dem Eindruck, der in den Medien entstanden ist, möchte ich nicht widersprechen. Was jedoch nicht vergessen werden darf, ist der Personalmangel und die Ausbildungsdefizite bei der Polizei in den neuen Ländern — bis hinein in die Führungsspitze.
Die frühere Ausländerbeauftragte Liselotte Funke hatte nach Hoyerswerda Spezialeinheiten gegen Neonazis in den neuen Ländern gefordert. Was halten Sie davon?
Ich warne vor sogenannten Sondereinheiten. Wir hatten in Berlin große Probleme mit der inzwischen aufgelösten »Einsatzbereitschaft besondere Lagen und Training« (EbLT). Solche Sondereinheiten können sich mit der Zeit verselbständigen und ein gewisses elitäres Verständnis entwickeln. Solange Defizite bestehen, muß in solchen Situationen wie in Rostock die Polizei aus den alten Bundesländern und der Bundesgrenzschutz personell aushelfen.
Häufig gewinnt man den Eindruck, bei Einsätzen gegen Linke wird schon aus kleineren Anlässen — beispielsweise beim letzten Weltwirtschaftsgipfel in München — viel härter durchgegriffen. Warum nicht, wenn es gegen Rechtsradikale geht?
Der Vorwurf ist eine Vereinfachung. In Rostock war die Polizei wahrscheinlich vom Kräfteverhältnis nicht in der Lage, einen Einsatz so zu fahren, wie man ihn schulmäßig hätte fahren müssen. Zeitweise mußte sich die Polizei ja aus dem Geschehen auch zurückziehen. Das ist natürlich ein Unding, wenn der Staat deutlich macht, daß er nicht mehr in der Lage ist, Recht und Gesetz durchzusetzen. Da kann natürlich der Eindruck entstehen, hier werde mit zweierlei Maß gemessen. Wenn in Rostock die zahlenmäßige Stärke wie in München präsent gewesen wäre, dann hätte dort auch kein Haus gebrannt.
Wie am Dienstag bekannt wurde, hat die Einsatzleitung in Rostock sich an Befehle aus dem Innenministerium geklammert. Ist das so üblich, oder kann eine Einsatzleitung nicht vor Ort eigene Entscheidungen treffen?
Ich kann das nicht kommentieren. Aber frühere Einsätze zeigen mir doch, daß in Rostock, angefangen von der Struktur bis in die Führung hinein, Defizite vorhanden sind — anders kann ich mir das nicht erklären.
Wie sieht es denn mit der inneren Motivation Ihrer Kollegen bei Einsätzen zum Schutz von Asylbewerberheimen aus. Vielleicht unterstützen insgeheim ja manche die Forderungen der Anwohner und sind da in einem Gewissenskonflikt?
Das glaube ich nicht. Das wäre eine Unterstellung. Wir haben ähnliche Probleme während der Demonstrationen gegen Atomkraftwerke gehabt, als Kollegen erklärten, sie könnten diese nicht schützen. In erster Linie gilt: Jeder Beamte ist dem Recht verpflichtet. Wer meint, er käme in solchen Situationen mit seinem Gewissen nicht mehr klar, der hat den falschen Beruf ergriffen. Interview: Severin Weiland
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