: Ein Übermaß an Peinlichkeiten
■ US-Präsident Bill Clinton steht am elektronischen Pranger. Mit der Veröffentlichung des Berichtes von Sonderermittler Starr im Internet fragen sich die meisten Amerikaner: Was ist schlimmer? Die Details aus Clintons Sexaffäre mit einer Praktikantin oder deren Veröffentlichung?
Angriff ist die beste Verteidigung – das dachten sich wohl am Wochenende Bill Clintons Anwälte: Der Bericht von Sondermittler Kenneth Starr enthält nichts Neues, der Präsident hat doch alles eingestanden, der Sonderermittler will lediglich Bill Clinton mit den peinlichen Details einer belanglosen Sexaffäre denunzieren. Mit einer 73seitigen Erwiderung reagierten Clintons Anwälte am Freitag unmittelbar auf die Veröffentlichung des 445 Seiten dicken Starr-Reports. Am Samstag schoben sie eine weitere 43 Blatt umfassende Punkt-für- Punkt-Erwiderung nach. Kernthese beider Papiere: Es geht nur um Sex – kein Grund für eine Amtsenthebung.
Die Vereinigten Staaten sind aus dem Häuschen. Die Veröffentlichung des Berichts im Internet, in dem detailiert die sexuellen Beziehungen von US-Präsidenten Clinton zur Ex-Praktikantin des Weißen Hauses, Monica Lewinsky, ausgeleuchtet werden, schlug am Wochenende ein wie eine Bombe. Schlangen bildeten sich vor Internet-Cafés, allein der Fernsehsender CNN verzeichnete weltweit 350.000 Zugriffe pro Minute auf seine Web-Seiten. Auf allen TV- Kanälen jagte eine Sondersendung die andere. Ohne Zweifel, es war ein Ereignis der Superlative. Die Empörung war groß. Nur war nicht recht auszumachen, was die Menschen mehr entsetzte: die peinlichen Schilderungen aus dem Liebesleben von Bill Clinton oder die Tatsache, daß diese veröffentlicht wurden?
Reichlich fassungslos jedenfalls verfolgt die Nation, wie ihr Präsident in aller Öffentlichkeit demontiert wird. „Pfui Teufel!“, heißt es beinahe einhellig – 72 Prozent der Bevölkerung urteilen nach ersten Umfragen, daß die Veröffentlichung der von vielen Amerikanern als obszön empfundenen Details nun wirklich nicht nötig gewesen wäre.
Clintons Anwälte griffen das Motiv dankbar auf. Sie sprachen von einer „Schmutzkampagne“. Dabei hat Sonderermittler Starr die peinlichsten Details (“hinterher masturbierte der Präsident im Badezimmer“) sogar in den Fußnoten seines Berichts versteckt. US-Präsident Clinton sieht sich jetzt mit Vorwürfen konfrontiert, die nach der Auffassung des Sonderermittlers ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigen. Elf Vergehen legt Starr dem Präsidenten zur Last, darunter Meineid, Zeugenbeinflussung, Amtsmißbrauch und Behinderung der Justiz. Am schwerwiegendsten dürfte der Vorwurf sein, Clinton habe vor Gericht unter Eid falsche Angaben über den Charakter seines Verhältnisses zu Miss Lewinsky gemacht. So werden in den kommenden Wochen die Verfassungsrechtler über der Frage brüten, ob der Meineid zur Verheimlichung des Ehebruchs ein Anlaß für ein Amtsenthebungsverfahren (impeachment) sein kann.
„Normalerweise nicht“, urteilt Terrence Anderson, Fachmann von der Universität von Miami. Denn die Verfassungsväter hätten systemgefährdendes Verhalten im Auge gehabt, als sie die vage Klausel von den „hohen Verbrechen und Missetaten“ schufen. Richard Nixon zum Beispiel, der vor zuletzt 24 Jahren wegen Machtmißbrauchs angeklagt werden sollte, habe immerhin die Steuerbehörde gegen seine politischen Gegner aufgehetzt, einen Einbruch verschleiert und unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit Telefone illegal abhören lassen.
Die amerikanischen Medien zitierten am Wochenende auch zahlreiche Rechtsexperten mit der Aussage, Starrs Berichts habe seine Stärken in der Aufzählung der Details. Es fehlten aber die Beweise dafür, daß Clinton andere zum Lügen oder zum Ablegen eines Meineids gedrängt habe.
Clintons Anwalt David Kendall erklärte, die Aufzählung von Einzelheiten der Beziehung seines Mandanten mit Lewinsky ändere nichts an der Tatsache, daß der Präsident sich folgender Vergehen nicht schuldig gemacht habe: „Er hat keinen Meineid geleistet, er hat nicht die Justiz behindert, er hat keine Zeugen beeinflußt, und er hat nicht sein Amt mißbraucht.“
Vielen Amerikanern erscheinen die Angaben von Sonderermittler Starr aber offenbar glaubwürdiger als Clintons Erklärungen. In einer Umfrage des Senders ABC erklärten 49 Prozent, Starr habe wichtige Gründe für ein Amtsenthebungsverfahren genannt, nur 26 Prozent waren der Meinung, daß Clintons Anwälte gut dagegen argumentiert hätten. In der Umfrage zeigten sich auch 59 Prozent überzeugt, daß Clinton gegen das Gesetz verstoßen habe. Das war ein Anstieg von 17 Prozent im Vergleich zu Ende August.
Gespannt werden jetzt vor allem die Reaktion der demokratischen Abgeordneten erwartet, die heute nach Gesprächen in ihren Wahlkreisen nach Washington zurückkehren. Immerhin stehen am 3. November Kongreßwahlen ins Haus. Unter Clintons Parteifreunden geht die Angst um, das Verhalten des Präsidenten könne die Wähler der Demokraten demoralisieren, so daß sie nicht zur Abstimmung gehen.
Die demokratische Abgeordnete Cynthia McKinney etwa ging auf Distanz. Bisher hatte sie Clinton entschieden verteidigt, jetzt wirft sie dem Präsidenten „rücksichtsloses Verhalten“ vor. „Wir sind alle ärmer geworden wegen des Fehlers eines Mannes, der eine historische Gelegenheit dadurch verspielt hat, daß er sich vor den Augen der Welt und seiner Familie bloßgestellt hat.“ Der republikanische Abgeordnete Tom Davis aus Virginia sprach aus, was vor allem im Bibel-Gürtel der USA gedacht wird: „So benehmen sich anständige Menschen nicht.“
Abgeordnete beider Parteien mahnten aber auch Besonnenheit an. Der Demokrat Albert Wynn erklärte, er habe in den bisher vorgelegten Auszügen des Berichts keine Beweise für den Vorwurf der Behinderung der Justiz oder andere Straftaten gefunden. Seine Fraktionskollegin Darlene Hooley nannte den Inhalt des Berichts „sehr schockierend“, warnte jedoch vor voreiligen Urteilen.
Der Senat hat nach der Verfassung die letzte Entscheidung über die Amtsenthebung eines Präsidenten zu treffen. Insgeheim dürften nun auch etliche Parteifreunde Clintons hoffen, daß dieser das Handtuch von sich aus wirft und so eine Dauerdebatte der Sexaffäre verhindert. Nur: Den Gefallen scheint Bill Clinton ihnen noch nicht tun zu wollen. Wolfgang Gast
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