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Archiv-Artikel

Ein Typ mit Marotte

Florian Kehrmann will auch im heutigen WM-Spiel gegen Tunesien zeigen, dass er einer der besten Rechtsaußen der Welt ist. Auch an Starpotenzial fehlt es dem 25-Jährigen vom TBV Lemgo nicht

aus Visue ERIK EGGERS

Die Szenen, die sich nach Spielen der deutschen Handball-Nationalmannschaft abspielen, folgen dem immer gleichen Muster, fast könne man sagen: einem Naturgesetz. Kaum ist abgepfiffen, bildet sich der größte Pulk um Stefan Kretzschmar, dem Mann aus Magdeburg, der in den Augen vieler so ziemlich der Einzige auf dem Spielfeld ist, der so etwas wie Charisma versprüht. In diesen Momenten versteht der deutsche Linksaußen die Welt nicht mehr, weil er nicht nachvollziehen kann, „warum alle so ein Brimborium um meine Person veranstalten“. Zumal, wie „Kretzsche“ findet, „auf der anderen Angriffsseite doch einer steht, der mindestens so gut spielt wie ich“. Nämlich: Florian Kehrmann, der Flügelmann vom Bundesliga-Tabellenführer TBV Lemgo.

Dass Kretzschmar stets sein athletisch bis leicht bullig wirkendes Pendant erwähnt, ist kein Zufall, eher eine Ahnung. Denn wenn er nächstes Jahr, nach den Olympischen Spielen, seine Karriere beenden wird, dürfte vermutlich ebenjener Rechtsaußen in die Rolle schlüpfen, die er, der Linke, seit Jahren bekleidet: Dann wird Kehrmann es sein, der in den Medien den deutschen Handball transportiert. Der gebürtige Neusser erscheint jedenfalls als derjenige, in dem das größte Vermarktungspotenzial schlummert. Weil er schon jetzt zu den begnadetsten Flügelspielern gehört, weil er jung ist und über ein blendendes Aussehen verfügt und weil er die Fähigkeit besitzt, schon gleich nach Schlusspfiff ziemlich kluge Sätze von sich zu geben. „Ein Phänomen wie Kretzsche wird es nie wieder geben“, sagt Kehrmann zwar, und dass er sich wohl fühle „im Hintergrund“. Aber auch bei ihm existieren Gedankenspiele: „Das wird mehr in Zukunft, aber ranschmeißen werde ich mich an keinen.“

Das Zeug zum Star jedenfalls hat er durchaus, weil auch er manche Marotte pflegt und so den nötigen Stoff für Geschichten zu produzieren vermag. Auch Kehrmann lässt sich Tattoos einstanzen in die Haut, auch wenn sie kleiner sind als die von Kretzschmar. Und vor einigen Monaten hat er verkündet, er lasse sich die Haare nicht mehr schneiden, solange Lemgo nicht verliere. Das war leichtsinnig, weil die Mannschaft 17 Spiele in Serie gewann. Kehrmann sah vor der ersten Niederlage so aus, als hätte sich ein ungeföntes Murmeltier auf seinem Kopf schlafen gelegt.

Diese kleinen Verrücktheiten schreibt man im Fußball gern Torleuten und Linksaußen zu; und auch bei Kretzschmar und Kehrmann scheint es kein Zufall, dass sie ihr Dasein auf den oft tristen Positionen draußen an der Linie fristen. „Aber das ist besser als auf der Kreisläuferposition“, findet Kehrmann, „da kriegt man ja immer voll auf die Fresse.“ Andererseits muss man da draußen länger auf einen Ball warten, weil die Nebenspieler im Rückraum lieber durch die Mitte gehen. Wenn Außenspieler schon einmal aufs Tor ziehen können, dann werden sie, mehr als alle anderen auf dem Feld, durch fiese Rempler aus dem Gleichgewicht gebracht.

Kehrmann freilich ist selbst dann noch zu einem erfolgreichen Abschluss in der Lage, seine Quote liegt weit über dem Durchschnitt, auch bei der WM in Portugal, wo er es schon in der Vorrunde auf 27 Treffer gebracht hat. Das gilt auch für seine Tempogegenstöße, für die er als Außen ebenfalls zuständig ist. Wenn Kehrmann da den Ball erhält, ist er schon so gut wie im Tor. „Ich würde Kehrmann gegen keinen anderen Außen der Welt eintauschen“, sagt aus diesem Grund Heiner Brand, der Bundestrainer, der mit solcherlei Lob nicht gerade um sich zu werfen pflegt.

Bei Kehrmann macht Brand gerne eine Ausnahme, auch weil er weiß, dass der 25-Jährige deswegen nicht gleich die Bodenhaftung verlieren wird. „Er ist in den letzten Jahren mit großer Konstanz besser geworden“, konstatiert der Bundestrainer, das gefällt ihm, auch wenn er weiß, dass die stete Steigerung seines Rechtsaußen bald ein Ende gefunden haben wird. Florian Kehrmann ist schließlich schon jetzt einer der besten Rechtsaußen der Welt.