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berliner szenenEin Tag im Möbelhaus

Was machen die nur, die neuen Mieter im Seitenflügel? Sie essen bei normaler Beleuchtung Abendbrot, aber nachts zwischen eins und drei tauchen sie ihre Küche in Flutlicht. Auch die gegenüberliegenden Wohnungen sind hell erleuchtet. Also müssen Gardinen her, der kindliche Schlaf soll nicht gestört werden.

Im Möbelhaus ein Gewühle und Geschiebe auf dem Weg zu einem passenden Stoff. Der ist gerade ausverkauft. Zweiter Anlauf. Der Stoff ist jetzt vorrätig, die Verkäuferin bestätigt: Vier mal die Länge, es werden also knapp 14 Meter gebraucht. Abmessen und zuschneiden müssen die Kundinnen allein.

Kein Wunder, dass der Meter nur 5 Euro kostet, wenn die Arbeit an die Kundschaft delegiert wird. 14 Meter Baumwolle sind schwer, ständig verrutschen die Stoffmassen. Zur Belohnung gibt es in der Cafeteria Apfelstrudel mit extra viel Vanillesoße. Von extra viel ist abzuraten, die Soße wird zum idealen Gleitmittel, als der Strudel vor der Kasse in Schieflage gerät und spritzend auf den Boden platscht. Ein Paar, das einen Tag im Möbelhaus überlebt hat, ist durch nichts mehr zu trennen.

Gleich lange Teile in Altbau-Länge zu säumen – hat das schon mal jemand geschafft? Lieber morgens noch mal nachmessen, was spät abends abgesteckt wurde. Drei Meter fünfzig können, je nach Tageszeit, ganz schön unterschiedlich ausfallen. Wie der menschliche Körper, der auch morgens länger ist als abends. Kaum erwähnenswert: der dritte Einkaufstag, weil die Gardinenringe nicht reichten.

Irgendwann waren die Vorhänge fertig, und wer das Theater nicht miterlebt hat, findet das Ergebnis gelungen. Auch das Kind mag beim morgendlichen Testhängen den neuen Höhlencharakter. „Aber abends lassen wir die Vorhänge auf, sonst ist es ja so dunkel.“

Claudia Ingenhoven

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