piwik no script img

Ein Staat in AngstEin Erbe des RAF-Terrors

Der Terror und die Sicherheitshysterie der 70er Jahre treffen uns noch heute. Denn die damals erlassenen Gesetze schränken die Freihheitsrechte immer noch ein.

Nach dem Überfall des RAF-Kommandos "Holger Meins": Außenminister Hans-Dietrich Genscher besichtigt die Trümmer der deutsche Botschaft in Stockholm. Bild: dpa

"Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muss innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was im Rechtsstaat erlaubt ist." Das ist kein neues Aufreger-Zitat von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Sondern ein Satz, den der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1975 nach dem RAF-Überfall auf die deutsche Botschaft von Stockholm sagte.

So wie heute der islamistische Terror zu heftigen rechtspolitischen Debatten und neuen Gesetzen führt, tat dies in den 70er-Jahren auch die RAF. Mit zahlreichen Gesetzen versuchte die sozialliberale Koalition der Terroristentruppe beizukommen. Gemäßigte und radikale Linke sahen dadurch elementare Freiheitsrechte bedroht. "Wenn der Gesetzgeber auf dem eingeschlagenen Wege fortschreitet, wird er den freiheitlichen Rechtsstaat zu Tode schützen", warnte damals der angesehene Bonner Strafverteidiger Hans Dahs.

DER TOD SCHLEYERS

Heute vor 30 Jahren ermordeten RAF-Mitglieder den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, er war 43 Tage lang Geisel des "Kommandos Siegfried Hausner". Die Entführung Schleyers war der schwerste terroristische Anschlag auf die Bundesrepublik der Nachkriegszeit. In der Nacht begingen die führenden RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe Selbstmord in der Justizvollzugsanstalt Stammheim. Die Hochphase des RAF-Terrorismus, der Deutsche Herbst, fand damit ein Ende. Geblieben sind zahlreiche, damals beschlossene Gesetze zur Terrorismusbekämpfung.

Viele der Anti-Terror-Gesetze sind in Vergessenheit geraten. Manche, wie das 1977 erlassene Kontaktsperregesetz, wurden sogar nie wieder angewandt. Das widerlegt auch die Vermutung, der Staat nutze jede neue Kompetenz zwangsläufig exzessiv aus. Andere Vorschriften, wie die Strafbarkeit der terroristischen Vereinigung, sind aber heute noch relevant - und umstritten. Fünf Gesetzespakete wurden in den 70er-Jahren speziell gegen die RAF beschlossen, fast alle sind noch in Kraft:

Als 1974 der große Stammheim-Prozess gegen die erste RAF-Generation bevorstand, veränderte der Staat einfach die Spielregeln. Es war das erste direkt auf die Terrorgruppe gemünzte Gesetz, auch "Lex RAF" genannt. Es empörte vor allem die linke Anwaltschaft und führte später zur Gründung der Bürgerrechtsorganisation Republikanischer Anwaltverein (RAV).

Ein Angeklagter darf seitdem nur noch drei Verteidiger haben. Damit wollte der Gesetzgeber verhindern, dass jeder RAF-Gefangene Dutzende von Anwälten beschäftigt, die freien Zugang zum Gefängnis haben und vor allem der RAF-internen Kommunikation dienen. Die Regel ist heute ohne Bedeutung. Selbst Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann kam im Mannesmann-Verfahren mit zwei Anwälten aus.

Des Weiteren darf ein Anwalt pro Verfahren nur noch einen Angeklagten verteidigen. Das verteuert Prozesse für Angeklagte bis heute, denn diese können keinen gemeinsamen Anwalt beauftragen.

Außerdem konnten Anwälte, die im dringenden Verdacht stehen, Straftaten der Angeklagten zu unterstützen, nach der "Lex RAF" vom Prozess ausgeschlossen werden. Im Stammheim-Verfahren traf dies drei Verteidiger von Andreas Baader, darunter den heutigen grünen Fraktionsvize im Bundestag, Christian Ströbele. Auch heute wird die Regelung gelegentlich angewandt.

Eine weiterer Punkt der Neuregelung besagte, dass ein Prozess auch ohne Angeklagte fortgeführt werden kann. Und zwar dann, wenn diese sich beispielsweise durch einen Hungerstreik gezielt verhandlungsunfähig machen. Heute hat diese Vorschrift kaum noch Bedeutung.

Neu eingeführt wurde 1976 das Verbot, Straftaten "verfassungsfeindlich zu befürworten" und "anzuleiten". Trotz heftiger Kritik in der sozialliberalen Koalition, wo Abgeordnete die neuen Paragrafen als Gefahr für freie Diskussion, Kunst und Literatur empfanden, beschloss der Bundestag das Gesetz einstimmig. Tatsächlich wurde nur wenige Monate später eine bundesweite Razzia bei linken Buchläden auf die neuen Paragrafen gestützt, freilich ohne dass dies zu Verurteilungen führte. 1981 schaffte die Regierung die Paragrafen auf Wunsch der FDP wieder ab. Die "Anleitung zu Straftaten" wurde allerdings 1986 erneut unter Strafe gestellt. Im September 2007 sagte Justizministerin Zypries (SPD), sie plane, das "Anleiten zu Gewalttaten" mit bis zu drei Jahren Haft zu bestrafen. Darunter fiele unter anderem das Veröffentlichen von Tipps zum Bombenbau im Internet.

Der 1976 ebenfalls neu eingeführte Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches stellte die Bildung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe. Er erlaubt das Ermitteln und Bestrafen, ohne konkrete Tatbeiträge zu einem Anschlag nachweisen zu müssen. Auch Unterstützung und Werbung sollten strafbar sein.

Die Einführung des 129 a sorgte damals für relativ wenig Wirbel, weil schon seit Jahrzehnten der Paragraf 129 die Bildung krimineller Vereinigungen unter Strafe stellte. Als solche galt bis dahin auch die RAF. Neu war vor allem, dass bei terroristischen Organisationen generell die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernimmt und Verdächtige in solchen Verfahren auch ohne Flucht- und Verdunkelungsgefahr in U-Haft genommen werden können. In den Strafurteilen gegen RAF-Mitglieder spielte 129 a meist keine eigenständige Rolle. Diese wurden oft zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt, weil ihnen konkrete Tatbeiträge bei Anschlägen zugerechnet wurden oder weil sie bei der Festnahme auf Polizisten schossen. Die Bundesanwaltschaft nutzt diese Vorschrift aber immer wieder zu Ermittlungen, hauptsächlich in der linken Szene. 1986 wurden auch militante AKW-Gegner zu Terroristen erklärt, wenn sie Strommasten absägen oder Bahnstrecken sabotieren. Seit 2003 ist die bloße Sympathiewerbung für eine Terrorgruppe nicht mehr strafbar. Auch sollen militante Brandanschläge nicht mehr als Terrorismus verfolgt werden. Die Bundesanwaltschaft versucht jedoch bis heute, die Novellierung zu ignorieren, wie die aktuellen Ermittlungen gegen militante linke Gruppen zeigen. Weil sich islamistische Terroristen selten in festen Vereinigungen organisieren, plant die Justizministerin derzeit die Einführung einer neuen Strafvorschrift für die "Vorbereitung von Straftaten". Personen, die ein Terrorcamp besuchen und danach einen Anschlag begehen wollen, sollen so bestraft werden können. Der 129 a ist heute das relevanteste und umstrittenste der damals erlassenen Gesetze, weil stets die Gefahr droht, dass er nicht nur auf klassische Fälle von Terrorismus angewendet wird.

Das erste Anti-Terror-Paket brachte auch neue Einschnitte für die Strafverteidiger. In Terrorverfahren können diese seitdem ihre Post nicht mehr unkontrolliert an Häftlinge schicken. Sie muss von einem "Lese-Richter" kontrolliert werden, der sonst nichts mit dem Prozess zu tun hat. Anwaltsverbände fordern die Abschaffung dieser Vorschrift. Anlass der Regelung war ein von Anwälten betriebenes Info-System zwischen RAF-Gefangenen, für das einige Anwälte strafrechtlich verurteilt wurden.

Kontaktsperregesetz

Am 6. September 1977, einen Tag nach der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, begann eine Kontaktsperre für rund 70 Gefangene, die der RAF zugerechnet wurden. Sie durften von nun an weder untereinander noch mit der Außenwelt kommunizieren. Das hatte der von Kanzler Helmut Schmidt (SPD) geleitete Große Krisenstab beschlossen. Er wollte so verhindern, dass die inhaftierten RAF-Gefangenen die Schleyer-Entführer steuern können. Eine gesetzliche Grundlage gab es für die Kontaktsperre nicht. Die Bundesregierung berief sich deshalb auf "rechtfertigenden Notstand". Gerichte erlaubten daraufhin einigen Anwälten, ihre Mandanten zu besuchen. Als die Behörden diese Urteile missachteten, starteten die Anwälte ein Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht. Erst dann brachte die Bundesregierung das so genannte Kontaktsperregesetz in den Bundestag ein. Nur drei Tage beriet das Parlament und beschloss das Gesetz Ende September. Die Kontaktsperre endete am 20. Oktober 1977, zwei Tage nach Schleyers Ermordung. Das Gesetz wurde nur dieses eine Mal angewandt. Trotz der Sperre konnten sich die Stammheimer RAF-Gefangenen über eine selbstgebastelte Gegensprechanlage verständigen. Möglicherweise hat der Staat dies geduldet, um die Gespräche der Häftlinge illegal abhören zu können.

Zweites Anti-Terror-Paket

Dieses Gesetz wurde wenige Tage nach dem Mord an Hanns Martin Schleyer im Oktober 1977 auf den Weg gebracht und im folgenden Jahr beschlossen.

Seit dieser Zeit muss ein Verteidiger persönliche Gespräche mit einem terrorverdächtigen Mandanten durch eine Trennscheibe führen. Zuvor war bekannt geworden, dass RAF-Anwalt Arndt Müller in einer präparierten Akte Waffen und Sprengstoff nach Stammheim geschmuggelt hatte. Die Trennscheibe scheidet heute noch bei jedem Terrorverfahren Angeklagten und Verteidiger. Anwaltsverbände halten das für überzogen.

Zudem erhielt die Polizei ausdrückliche Befugnisse für Methoden, die sie schon vorher praktiziert hatte: für die Durchsuchung ganzer Hochhausblocks bei der Terroristensuche und für das Errichten polizeilicher Kontrollstellen, die zuvor als Verkehrskontrollen ausgegeben wurden. Die vom damaligen Chef des Bundeskriminalamtes, Horst Herold, entwickelte Rasterfahndung wurde dagegen erst 1992 gesetzlich geregelt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!