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Ein Schuhverkäufer mit Blähungen Von Ralf Sotscheck

Leider habe er keine abstehenden Ohren, klagte Michael Aidan- Ross. Deshalb müsse er sich immer Watte dahinterklemmen. Der 42jährige Engländer hat einen ziemlich lächerlichen Job: Er ist bei einer Agentur als Doppelgänger des Labour-Chefs Tony Blair angestellt. In Wahlkampfzeiten ist die Sache recht lukrativ, pro Monat springen dabei bis zu 15.000 Mark heraus. Aidan-Ross hat keine Konkurrenz zu fürchten. „Blair hat ein Dutzendgesicht“, sagt Michael Sweeney von der Doppelgängeragentur, „und weil er so furchtbar durchschnittlich aussieht, ist es sehr schwer, einen guten Doppelgänger zu finden. Wir haben jede Menge Majors, aber manchmal bestellen sich Leute den Oppositionsführer dazu, um Schwung in ihre Party zu bringen. Wir mußten sie bisher mit einem Clinton abspeisen.“

Wenn man genauer hinsieht, hat Aidan-Ross eigentlich gar keine Ähnlichkeit mit Blair. Zwar ist er gerade in die Labour Party eingetreten, um sich seinem Alter ego anzugleichen, aber bis auf das unerträgliche Grinsen haben die beiden nichts gemein. Das Zähnefletschen ist freilich Blairs hervorstechendstes Merkmal. Das weiß er offenbar nicht. Als er vor kurzem in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett Modell saß, entdeckte er die wächsernen Kollegen John Major und Paddy Ashdown. Weil beide seriös aussahen, beschloß Blair, daß seine Puppe ebenfalls ernst dreinblicken sollte – ein großes Problem für die Wachskünstlerin. „Er grinste ständig“, sagt sie, „genau wie auf allen Fotos.“ Die Wachspuppe sieht daher aus wie ein Schuhverkäufer mit Blähungen. „Kein Mensch erkennt ihn“, meint die Künstlerin.

Vielleicht hätte man ihm die Augen von Scott Woods verpassen sollen. Woods ist Schauspieler und wird von der Spezialagentur „Häßliche Modelle“ vertreten. Die Tories heuerten ihn an, verpaßten ihm blaue Kontaktlinsen und montierten seine Augen falsch herum in Blairs Gesicht. „New Labour, New Danger“, heißt die Parole zum satanischen Gesicht. „Man sagte mir, ich solle versuchen, wie ein Serienmörder auszusehen“, klagt Labour-Mitglied Woods, der in dem neuen Film „The Lighthouse“ einen Serienmörder spielt. „Wenn ich gewußt hätte, was sie mit meinen Augen machen, hätte ich den Job abgelehnt.“ So aber starrt Woods nun landauf, landab von den Tory-Wahlplakaten.

Peter Gummer und Werbepapst Maurice Saatchi, auf deren Mist die eher dämliche als dämonische Kampagne gewachsen ist, sind vorige Woche von Major zu Lords ernannt worden. „Lords der Lügen“, spottete Labour-Politiker Frank Dobson. „Tony ist nicht die Reinkarnation des Teufels.“ Aber Peter Gummer ist der Bruder von John, und der hat als Umweltminister ebenfalls keine Dummheit ausgelassen. Um die Sicherheit britischen Rindfleisches zu beweisen, stopfte er seiner damals dreijährigen Tochter Cordelia einen Hamburger in den Rachen.

Peter Gummer wird seinen Premierminister auch dann nicht retten, wenn er Blair die Augen von Boris Karloff ins Gesicht klebt – zumal es ohnehin nichts Furchterregenderes gibt als Blairs Grinsen. Wenn Major die nächsten Wahlen verliert, kann er sich vielleicht für einen neuen Job bewerben: als Doppelgänger von Tony Blair. Politisch sind die beiden kaum auseinanderzuhalten.

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