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Archiv-Artikel

Ein Sarg fürs Leben

MÖBEL Anna Siotto baut Schränke und Regale, in denen Menschen begraben werden. Bis dahin stehen sie im Wohnzimmer

Anna Siotto

■  Die Schreinerin: Siotto, Jahrgang 1958, ist auch Künstlerin. Im Kasseler Museum für Sepulkralkultur steht einer ihrer Särge, der zu Lebzeiten als Kleiderschrank verwendet werden kann.

■  Die Homepage: Informationen zur Arbeit von Anna Siotto unter: www.annasiotto.com.

VON WALTRAUD SCHWAB

Weil Anna Siotto ein Zugvogelleben führt, verschwimmen ihr das Hier und das Dort – dann ist dort einmal hier und später hier wieder dort. Das Hin- und Herwandern habe sich ergeben. „So kann ich an verschiedenen Orten sein, die ich liebe.“ Jetzt lebt sie eben im Winter eng an den Felsen der kleinen Liparischen Insel Alicudi geschmiegt, „um mich herum Meer“. Im Sommer dagegen zieht es sie in den Norden. Dann schlägt sie ihr Nest in einer Scheune auf der Schwäbischen Alb auf. Zwei Stockwerke hoch. Im unteren hat sie ihre Schreinerwerkstatt, darüber – dort wo früher das Heu lag – ein Zimmer. Wasser findet sie, wie andere Zugvögel auch, am Brunnen im Hof. „Ich wohne gern da, wo ich arbeite“, sagt sie.

Siotto ist Schreinerin. Im Winter repariert sie auf der Insel Ferienhäuser der Leute, die dort den Sommer verbringen, tüncht Wände, baut Mauern, zimmert Treppen. Ist sie aber in Deutschland, dann baut sie Möbel. Schreinerin ist ihr Traumberuf. Mit siebzehn begann sie, eine Lehrstelle zu suchen. 1975 war das. Und weil sie sechs Jahre keine findet, probiert sie anderes: Dinge ausfahren, im Labor arbeiten. „Das war damals noch nicht so: Frauen in Männerberufen.“

Dann endlich findet sie doch einen Meister, im Schwarzwald. „Einen besseren hätte es nicht geben können.“ Leidenschaft fürs Holz und fürs Handwerk kommen da zusammen. Das kommt ihr entgegen. Für Siotto ist Holz alles: hart, weich, widerspenstig, geschmeidig, tot, lebendig. Wer sie fotografiert, sollte sie auffordern, an Holz zu denken. An das vom Elsbeerbaum, Birnbaum, Nussbaum, „die Maserung ist so schön“. Wenn das vor ihrem inneren Auge erscheint, dann glätten sich die tiefen Falten, die die Wintersonne ihr ins Gesicht gebrannt hat.

In Deutschland baut Siotto nicht nur Möbel, sie fährt mit ihnen auch auf Märkte. Auf dem Weg nach Rostock hat sie einen Stopp in Berlin eingelegt, da hier ihre Liebe – eine Zugvogelliebe, die im Sommer glüht – wohnt. Im Anhänger, den sie mit ihrem alten Auto über die Straßen zieht, hat sie von allem, was sie baut, etwas dabei: Tische, Bänke, Garderoben, Spiegel, Schränke. Einige der Schränke sind so geschreinert, dass sie zu Lebzeiten benutzt werden können, um Kleider oder Bücher drin aufzubewahren. Wenn das Leben dann zu Ende ist, werden die Garderobenstangen, die Regalbretter entfernt – und der Schrank wird zum Sarg.

Die Schönheit des Holzes

Siotto baut Sargmöbel. Es sind Schränke – vielleicht zwei Meter hoch, sechzig Zentimeter breit, sechzig Zentimeter tief – so groß eben, dass sie einen Körper umschließen. Die Maserungen des Holzes, die Art, wie es gewachsen ist, Pflaumen tragend, Birnen tragend einst, versucht sie, sprechen zu lassen. Der Baum ist tot, die Schönheit seines Holzes überdauert. So ungefähr denkt sich Siotto das, und so ungefähr versucht sie, die Möbel zu etwas Lebendigem und Besonderem zu machen. Denn Sargmöbel, die man sich zu Lebzeiten in die Wohnung stellt, sollen schön sein, individuell sein, einzigartig – wie der Mensch.

Ein Freund von ihr, auch Schreiner, sagte irgendwann: „Mach doch Beerdigungen – das läuft immer.“ Sie wollte nicht. „Warum soll ich einen Sarg bauen für den Moment?“ Trotzdem: Das Thema gärte in ihr. Siotto nimmt sich Zeit, um Ideen reifen zu lassen. „Jetzt brauche ich den Schrank, und irgendwann brauche ich den Sarg“, sagt sie. Und dann die Idee: „Ich kann doch ein schönes Möbelstück bauen, und zwar so, dass es auch ein Sarg sein kann.“ So einfach war das. „Wir wissen nicht, wann wir sterben, aber wir tun so, als stürben wir nicht.“

Sie sagt all das, während sie über einen der vielen Friedhöfe an der Berliner Seestraße schlendert, dem, auf dem auch Opfer der Nazis, die im Gefängnis Plötzensee hingerichtet wurden, beerdigt sind und Erschossene vom 17. Juni 1953, dem Aufstand in der DDR. Sie mag Friedhöfe, aber nur wenn sie nicht aufgeräumt seien. Die Antwort wirkt gespreizt, denn was sich wirklich zeigt: Es gibt keinen Grund, eine Sargmöbelbauerin auf einem Friedhof zu treffen. Das Naheliegende ist mitunter nur Folge trägen Denkens. So entstehen Klischees.

Allerdings gibt es etwas in Siottos Leben, das ein Klischee bedient: die Eisdiele. Ihr Vater, ein Sarde, der über Frankreich nach Deutschland kam und sich hier verliebte, hatte eine. Siottos Zugvogelei hat mit diesem Vater zu tun: „Wenn ich nicht hier wäre, würden mir Menschen, die ich liebe, fehlen“, sagt sie und im selben Atemzug: „Deutschland das ganze Jahr, das wäre für mich auch nicht gut.“ Jetzt hat sie ein Leben, das ihr gefällt – halb italienisch, halb deutsch. „Ich bin da, wo ich sein will. Ich tue, was ich tun will. Ich muss nicht in verpassten Chancen denken.“ Wenn Leute aber sagen: „Du hast es gut“, antwortet sie: „Mach doch auch.“ Dass sie auf der Insel kein fließendes Wasser hat, keine Heizung – wer neidisch ist, denkt nicht daran.

Sargmöbel, die man sich zu Lebzeiten in die Wohnung stellt, sollen schön sein, individuell sein, einzigartig – wie der Mensch

Später im Café am Plötzensee schaut sie in die Abendsonne über dem Wasser – „oh, so schön hier.“ Ein Gespräch über Sargmöbel und über verlorene Bräuche, die der Seele helfen, dass sie abreisen kann, passt besser hierher, denn es geht um Schönheit, die den Tod nicht ausklammert. „Warum gönnen sich die Leute erst im Tod was Schönes?“ Es ist wie Blumen ins Grab werfen, anstatt sie den Lebenden zu bringen.

Im Grunde könne man jede Kiste als Sarg benutzten, solange das Holz nicht chemisch verunreinigt ist. Gut natürlich sei, wenn sie nicht zu groß ist. Größere Gruben kosten mehr. Wenn jemand bei Siotto ein Sargmöbel in Auftrag gibt, dann nimmt sie Maß wie eine Schneiderin. „Und beim Bauen fließen meine Gedanken mit rein.“ So, als malte sie ein Porträt des Auftraggebers. „Wenn jemand es als Schrank kauft, ist es für mich trotzdem ein Sargmöbel.“

Eine Frau wurde vor Kurzem in einem ihrer Mobelstücke beerdigt. „Die Kinder waren so froh, dass der Sarg schon da war.“ Die Erste aber, die ihr eine Garderobe abkaufte, die auch zum Sarg taugt, wisse nicht mehr, ob sie darin beerdigt werden möchte oder nicht. Für sich selbst hat Siotto noch nichts gebaut, in das sie gebettet werden möchte. „Ich habe zu wenig Platz auf der Insel.“ Derzeit sinniert sie über eine Sargbank nach. Die kann sie draußen vors Haus stellen.

Siotto mag eine Träumerin sein, trotzdem kommt Handfestes dabei heraus. Deshalb fragt sie auch: „Wie lange ich wohl noch so leben kann?“ Krank darf sie nicht werden und ewig schweres Holz schleppen? Aber eine neue Idee hat sie schon: Sie hat Kapernsträuche auf ihrem Grundstück. Vielleicht Delikatessen? Und sie will sich zur Falknerin ausbilden lassen. Sie glaubt, dass ihr Falken zufliegen werden auf der Insel. Zahmen Raubvögeln nahe sein, das ist auch eine Form, sich im Wegfliegen zu spüren.