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Archiv-Artikel

Ein Preis für die Freiheit

FRANKREICH Die Jury in Cannes zeichnet den Film „La vie d’Adèle“ über die Liebe zwischen zwei Frauen aus und zeigt der streitenden Gesellschaft, was Liberalität bedeutet

AUS CANNES CRISTINA NORD

150.000 Demonstranten marschierten laut Polizei am Sonntag in Paris gegen die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben. Glaubt man den Veranstaltern, waren es sogar eine Million. Zu akzeptieren, dass ein Mann einen Mann, eine Frau eine Frau heiratet und dass Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, fällt konservativen Franzosen schwer. Seit Monaten mobilisieren sie dagegen, sogar jetzt noch, da das Gesetz unterzeichnet ist.

900 Kilometer südöstlich von Paris, bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, sieht es ganz anders aus. Dort zeichnete die Jury am Sonntagabend einen Film aus, der sensibel, sinnlich und souverän von einer lesbischen Liebe erzählt: „La vie d’Adèle. Chapître 1 & 2“ („Das Leben Adèles. Kapitel 1 & 2“). Der Regisseur, Abdellatif Kechiche, in Tunis geboren, in Nizza aufgewachsen, nahm die Goldene Palme gemeinsam mit den beiden herausragenden Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos entgegen; die jungen Frauen hatten Tränen in den Augen, der Regisseur pries in seiner Dankesrede die Freiheitsliebe der französischen und der tunesischen Jugend.

Wie lässt sich das verstehen? Sicher nicht als direkter Eingriff in die französische Innenpolitik. Die Jury wurde von Steven Spielberg geleitet, zu ihr gehörten unter anderem Nicole Kidman, Naomi Kawase, Ang Lee und Christoph Waltz, Filmschaffende also, die nicht im Verdacht stehen, die Goldene Palme als politisches Statement zu missbrauchen. Denn das wäre eine seltsame Geringschätzung des Kinos, und um Kino geht es in Cannes zuallererst. Kechiches Film lässt sich auch nicht auf eine Botschaft reduzieren, er ist vielmehr ein Kunstwerk eigenen Rechts mit vielen Stärken und einigen Schwächen.

Ein Signal ist die Goldene Palme für „La vie d’Adèle“ dennoch: Die Konservativen mögen mobilmachen, aber am Sonntag in Cannes wurde deutlich, dass sie nicht die einzigen gesellschaftlich relevanten Kräfte sind.

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