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Ein Papa muß in die Welt hinaus

■ Erste Produktion des Ost-West-Projekts edel frauen bühne: Der Einakter „Reise ins Glück“ von Franz Xaver Kroetz

Die Fahrt dauert nur eine Stunde, aber diese Angst, etwas falschzumachen! Sind die Fahrkarten auch richtig gelöst? Die Abfahrtszeiten für die Rückfahrt aufgeschrieben? Und darf das Baby wirklich umsonst mitfahren? Die junge Frau (Uta Prelle), die all diese Klippen überwinden mußte, läßt sich erleichtert in einem leeren Abteil nieder. Die Hälfte davon ist auf der Bühne aufgebaut. „Ein Fensterplatz – was begehrt das Herz mehr?“ ist der erste Satz in Franz Xaver Kroetz' Einakter „Reise ins Glück“, und die ihn sagt, hat lernen müssen, mit viel zuwenig zufrieden zu sein. Weil ihre eigenen Gedanken und Gefühle nie jemanden interessiert haben, redet sie in Gemeinplätzen wie so viele Figuren von Kroetz: „Wenn man in die Ferne fährt, beflügelt das die Träume – wie man sagt.“ Auch „ich“ zu sagen, hat sie nicht gelernt.

Dabei ist die junge Frau durchaus munter. Kaum hat sie sich ans Zugfahren gewöhnt, streicht sie das grobgeblümte Kleid glatt und schlüpft aus den Schuhen. Zärtlich redet sie mit dem Bündel, das sie auf dem Arm trägt. Ein großes Abenteuer malt sie ihm aus: Wie wäre es, wenn wir die Notbremse zögen, um spazieren zu gehen, und der Zug müßte auf uns warten? Sofort bricht sie in lustig glucksendes Lachen aus – die Vorstellung, so wichtig genommen zu werden, kommt ihr gar zu absurd vor. Andere Träume sind realistischer: Wenn sie weiter brav und fleißig arbeitet und sich von der Gewerkschaft fernhält – vielleicht setzt der Abteilungsleiter in der Textilfabrik in all seiner Gnade ihren Stundenlohn doch einmal um 50 Pfennig herauf?

Am liebsten erzählt „die Mama“ dem Baby vom Papa, der sie am Bahnsteig erwartet oder vielleicht auch nicht, denn er muß Rücksichten nehmen – „er ist kein Unmensch, aber mit gesellschaftlichen Verpflichtungen“. Aus den buntgemischten Einfällen und Erzählungen der Frau setzt sich nach und nach das Bild eines ganz gewöhnlichen, undramatischen, todtraurigen Frauenschicksals zusammen. Dabei spricht sie ohne jedes Selbstmitleid. Denn sie hat schließlich auch gelernt, sich zusammenzunehmen.

Wenigstens einmal im Leben hat die Frau übrigens Glück gehabt: Das Kind, das sie gegen den Willen „des Papas“ nicht abgetrieben hat, ist ein Junge geworden – und schon deshalb wird es ihm einmal besser gehen. Er muß sich einmal wehren, schärft sie ihm ein, für sie selber ist es ja wohl schon zu spät. Denn: „Ein Papa muß hinaus in die Welt, die Mama bleibt. Ein Papa ist eine gefragte Person und hat Verpflichtungen. Die Mama nicht.“

Das Stück aus den 70er Jahren sei heute besonders für Frauen aus der DDR durchaus aktuell, sagt die Dramaturgin Christina Karstädt. Deshalb geht die Reise der Frau im Kulturhaus „Peter Edel“ in Weißensee auch nicht, wie bei Kroetz, von München nach Rosenheim; man hat sie auf die Strecke Berlin–Neustrelitz verlegt. Diese Strecke zeigt auch der Film, der während der Fahrt im „Zugfenster“ abläuft.

Die Gruppe „edel frauen bühne“, die im Kulturhaus „Peter Edel“ auftritt, will „Stücke über die Themen Frauen und Gesellschaft, Frauen und Macht“ spielen. „Reise ins Glück“ ist die erste Premiere der Theatergruppe aus fünfzehn zuvor arbeitslosen Schauspielerinnen. Noch zwei andere Frauenmonologe von Kroetz sind geplant, als nächste Premiere ist jedoch García Lorcas „Bernarda Albas Haus“ vorgesehen, eine „Frauentragödie in spanischen Dörfern“, in der kein einziger Mann auftritt. „Wir wollen nur Stücke spielen, in denen es ausschließlich Frauenrollen gibt, obwohl die nicht leicht zu finden sind“, meint Christina Karstädt.

Das Projekt, das von der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft für Frauen mit dem ansprechenden Namen „Chance“ getragen wird, läuft zunächst bis Dezember. Bis dahin wird die edel frauen bühne künstlerisch von der renommierten Regisseurin Roswitha Kämper geleitet, die bislang vor allem an großen Häusern gearbeitet hat, wie in Berlin am Maxim Gorki Theater und am Schiller Theater. Miriam Hoffmeyer

Weitere Vorstellungen von „Reise ins Glück“ am 24.3., 26.3., 1.4. bis 2.4. und 7.4. bis 9.4. um 20 Uhr im Kulturhaus „Peter Edel“, Berliner Allee 125, Weißensee.

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