: Ein Minarett führt zum Dialog
AUS NEUSS LUTZ DEBUS
Die Autobahn 57 zwischen Krefeld und Köln ist nicht gerade berühmt wegen den vielen sehenswürdigen Landschaften am Fahrbahnrand. Gurken-, Zwiebel- und Stiefmütterchenfelder sind eingeklemmt zwischen weitläufigen qualmenden Chemiefabriken. Doch gerade auf halber Strecke Richtung Süden wähnt man sich einen Augenblick lang viel weiter südlich, in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Man sieht die Moschee von Neuss mit ihren zwei Minaretten und ihrer prachtvollen Kuppel. Die Hagia Sofia scheint eine kleine Schwester im Rheinland bekommen zu haben. Ein Besuchstermin ist schnell vereinbart. Canli Hikmet zeigt mir stolz das Innere der Moschee. Zunächst gehen wir durch die Kellerräume. Die Toiletten könnten einem Fünf-Sterne-Hotel entstammen, der Rest ist eher funktional. Einen Raum gibt es für die Jugend, einen für Kinderbetreuung und einen großen Saal für Versammlungen und Feiern. Lange Stuhl- und Tischreihen machen es möglich, dass hier etwa 500 Personen beisammen sein können. Im Erdgeschoss ziehen wir unsere Schuhe aus und betreten den eigentlichen Gebetsraum. Meine Füße versinken im Teppichboden. Ein Kronleuchter gigantischen Ausmaßes hängt von der Kuppel. Alles wirkt sehr hell, freundlich und elegant. Ob Allah ein sanfterer Gott ist als der, der in düsteren, mächtigen katholischen Kathedralen residiert? Canli Hikmet lächelt mich an. Wie sieht er das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen? Er zeigt mir seine mit schweren Ringen geschmückte Hand, deutet auf zwei Finger. „Schau, es sind zwei ganz verschiedene Finger und doch gehören sie zur gleichen Hand.“ Zu den hohen Festen und zu Hochzeiten ist die Moschee so voll, dass die Männer sogar auf der Empore Platz nehmen müssen. Die ist ansonsten den Frauen vorbehalten. Diese versammeln sich dann in dem Kellerraum.
Beim anschließenden Mokka in der Cafeteria erzählt Canli Hikmet mehr zur Entstehungsgeschichte. Die Moschee wurde vor fünf Jahren erbaut. Die Baukosten beliefen sich auf sieben Millionen DM, die die etwa 300 Mitglieder der Gemeinde selbst aufbringen mussten. Die Gemeinde gehört zu Ditip, der eher gemäßigten Religionsgemeinschaft türkischer Muslime. „Und das Minarett?“ Nein, das Minarett sei kein Problem mehr, man habe sich mit allen gütig geeinigt. Tatsächlich sei es irrtümlich drei Meter zu hoch geraten. Ein Nachbar habe sich beschwert. Und dann musste die Spitze des Turms abgerissen werden. Über 50.000 Mark habe diese Aktion gekostet. Es habe viel Ärger mit den Spendern gegeben. Sie haben nicht eingesehen, für drei Meter Turm, der zu Bauschutt verarbeitet wurde, so viel Geld zu geben. Aber letztlich seien nun alle zufrieden. An der anderen Seite der Moschee konnte ja dann auch ein weiteres, größeres Minarett gebaut werden. „Und das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen?“ Die türkische Gemeinde in Deutschland halte sich selbstverständlich an das Gesetz. Und wenn das Tragen von Kopftüchern für türkische Lehrerinnen nicht gestattet ist, müsse man das akzeptieren. Weit und breit ist in dieser Cafeteria kein Problem zu finden. Sogar das World Trade Center ist noch zu sehen, auf der Vorderseite eines Zigarettenautomaten.
Die Welt zwischen den Kulturen im Neusser Vorort Derikum scheint noch in Ordnung. Hatte sich der benachbarte Heimwerkermarkt nicht dereinst beim Bauamt beschwert? Aber dort mag sich auch niemand kritisch äußern: „Beschwert hat sich der Besitzer, wir sind nur Pächter des Gebäudes. Eigentlich gibt es wenige Probleme. Am Freitag sind die vielen Autos der Moscheebesucher, die auf unserem Kundenparkplatz stehen, ein Ärgernis. Gerade Freitagnachmittag haben wir viele Kunden, und unsere Nachbarn eben leider auch.“ Kein Krieg um den richtigen Glauben, sondern nur um den freien Parkplatz? Annette Gärtner war bei der Einweihung der Moschee Pfarrerin im benachbarten Erfttal. Als Willkommensgeschenk brachten die christlichen Gemeinden des Stadtteils einen Gebetsteppich mit. Der Moscheeverein organisierte später für alle Kindergärten der Umgebung eine Nikolausfeier, verteilte viele wertvolle Geschenke. Allerdings, so fragte sich Annette Gärtner, warum nahm der Verein gerade ein christliches Fest zum Anlass, Kontakt mit den christlichen Nachbarn aufzunehmen? Nach dem 11. September organisierte Annette Gärtner Friedensgespräche, lud hierzu auch die muslimische Gemeinde ein. Leider kam nur zum ersten Termin eine Abordnung. Dies wurde sogar positiv in der Lokalpresse vermerkt. Zu weiteren Gesprächen fand sich niemand mehr von der Moschee bei diesen Gesprächen ein. Einen regen Austausch, wie ihn sich die beiden Gemeinden wünschten, entwickelte sich also nicht. Es gibt es zwar kein Gegeneinander aber auch kein Miteinander. Man lebt nebeneinander her.
Die CDU-Stadtverordnete Waltraud Beyen empfängt mich in ihrem Haus. Zu dem Gespräch mit der Presse hatte sie noch Baki Uyan vom Moscheeverein dazu gebeten. Waltraud Beyen engagiert sich seit vielen Jahren für den Moscheeverein. Sie ist gläubige Christin und gerade deshalb findet sie es wichtig, dass Menschen ihrer Religion nachgehen können. „In Lebenskrisen, bei Krankheiten und besonders auch in fremder Umgebung bietet der eigene Glaube Hilfe. Die Türken in unserem Land werden erst dann wirklich integriert sein, wenn wir ihre Religion akzeptieren.“ Diese Überzeugung hält sie gerade als Mitglied einer christlichen Partei für wichtig. Die ersten muslimischen Gottesdienste wurden in ihrem Stadtteil in einem Kellerräumen eines der riesigen Betonklötze abgehalten. Viele Türken gingen aber lieber in die Moschee in die Innenstadt. Diese allerdings wurde von der eher fundamentalistischen Milli Görüs unterhalten. So war der Bau der Moschee in Derikum ein Gewinn der gemäßigten Kräfte. Baki Uyan unterstreicht dies: „Unsere Moschee besuchen Firmenbelegschaften, Schulen, Seniorengruppen, Konfirmanden und Firmlinge. Im vergangenen Monat war sogar die Polizei zu Gast, wollte sich über den Islam informieren. Hier in Neuss steht sicherlich eine der eindrucksvollsten und schönsten Moscheen in NRW.“ Bei so viel Schönem blieb mir nur eine Frage: „Und das Minarett?“ „Das sieht zum Kotzen aus!“ entfährt es Uyan. Dann aber erklärt er mir detailliert, wie es zu diesem Missverständnis gekommen sei. Man habe sich falsch verstanden. Aber nun gebe es keine Probleme mehr. Und man wolle die alte Geschichte ruhen lassen. „Natürlich“, gibt Waltraud Beyen zu bedenken, „hätte man es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen können. Ein Gericht hätte entscheiden können, wie ein Minarett anzusehen sei. Das Problem entstand dadurch, dass es als Wohnhaus eingestuft wurde. Jede Werbetafel darf sehr viel höher gebaut werden. Für Minarette gibt es im deutschen Baurecht keine speziellen Bestimmungen.“ „Aber das hätte unserem Ruf geschadet“, fügt Uyan hinzu, „und nun haben wir ja noch ein weiteres Minarett gebaut.“
Bei der Stadtverwaltung will man mir aus datenschutzrechtlichen Gründen zunächst keine Auskunft geben. Mit ein wenig Hartnäckigkeit spreche ich dann aber doch noch einen Mitarbeiter, der natürlich ungenannt bleiben will. „Fragen Sie doch mal in Ihrer Redaktion nach, ob es ähnliche Vorfälle mit zu hohen Minaretten nicht auch woanders gab. Ich vermute, das hat System.“ Die Recherche ergab, dass es keine islamische Verschwörung mit zu hohen Moscheebauten in Deutschland gibt. Ein paar Kilometer weiter, in einem Jugendzentrum treffe ich Leyla und Gamze, zwei türkische Mädchen. Ich frage, ob sie in die Moschee nach Derikum gehen. „Nur bei Hochzeiten,“ sagt Gamze, „das finde ich da sonst blöd. Ich verstehe so wenig und es ist langweilig. Meine Eltern wollen wohl, dass ich da öfters hingehe. Aber zwingen tun sie mich nicht.“ Und Leyla fügt hinzu: „Das ist wie mit dem Kopftuch. Ich soll eins tragen. Aber ich will nicht und dann mach ich das auch nicht.“ Kann es etwa sein, dass sich der Islam in Deutschland bald in einer ähnlich prekären Lage befindet wie heutzutage die beiden großen christlichen Kirchen? Manches klingt danach.