Ein Messerstich und die Folgen: „Der Marc, der hätte sterben können“
Am hellichten Tag wird ein Junge niedergestochen. Von einem anderen Jungen. Die Mutter erzählt, wie der Stich ihr Leben und das ihres Sohnes verändert hat.
An einem Samstag im April 2011 greift ein Teenager Manuela Wilkens Sohn mit einem Messer an. Hier erzählt sie die Geschichte:
Es war nachmittags um vier, am hellichten Tag. Auf einmal klingelte das Telefon. Mein Mann war dran. Ich habe nur gehört, dass mein Sohn im Krankenhaus ist, beweg dich, beweg dich. In die Notaufnahme. All die Ärzte um meinen Sohn rum. Alles voll Blut. Ich bin natürlich erst mal zusammengebrochen.
Die sind beide erst 15 und 16, ein bisschen jünger als Marc. Der, der zugestochen hat, hatte anschließend offenbar keinerlei Mitleid. Der fand das auch in Ordnung so. Das ist einfach unglaublich. Die Hemmungen sind so niedrig. Wir waren auch keine Engel. Aber ein Messer ziehen und auf jemanden einstechen?
Ich habe in der Pflege gearbeitet, das konnte ich dann nicht mehr. Unsere ganze Familie hat da richtig drunter gelitten. Ich hab gezittert und konnte nicht mehr damit aufhören. Wenn ich eine Sirene hörte, dachte ich: Marc ist wieder etwas passiert. Ich konnte kein Auto mehr fahren. Ich habe starke Beruhigungsmittel bekommen. Ich arbeite jetzt in der Verwaltung. Ich nehme Antidepressiva, ich habe Angstzustände bekommen. Ich möchte nicht wissen, wie schlecht es dem Jungen ging. Der musste von einem Tag auf den anderen erwachsen werden. So hat sich das alles verändert.
Die ganze Geschichte und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 23./24. Juni 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Für uns ist das unglaublich schwer: Wir können ja überhaupt gar nicht damit abschließen. Marc ist seit Anfang des Jahres in psychologischer Behandlung. Er hatte Angstzustände. Er hat sich total verändert, hat angefangen, sich im Zimmer einzuschließen, hat angefangen zu rauchen. Hat nicht mehr mit uns geredet. Der hat sich total verändert. Wir hatten Angst, dass er nie wieder richtig laufen können wird. Er saß ja danach im Rollstuhl.
„Ich blute“
Im August 2011 ist wohl eine Anklageschrift rausgegangen wegen gefährlicher Körperverletzung. Wir hatten eigentlich gehofft, dass eine Tötungsabsicht festgestellt wird. Dann hätten wir als Nebenkläger im Prozess auftreten können. Jetzt ist es nur Körperverletzung und wir sind außen vor. Im Juli soll der Prozess beginnen.
Der Marc ging hier durch den Fußgängertunnel, mitten in Wilhelmshaven. Die beiden haben ihn gerufen, er hat sich auch umgedreht. Dann sagte der eine so was wie: Warum sagst du Hurensohn zu mir? Marc soll ihn beleidigt haben, die beiden waren schon mal aneinandergeraten. Es gibt eine Aussage, die bestätigt, dass Marc nicht provoziert hat.
Plötzlich hatte der eine ein Messer in der Hand und stach zu. Marc hat versucht, das mit seiner Tasche wegzuschlagen. Dann hat der zweite Täter ihn festgehalten. Das Messer hat er in die Hüfte bekommen. Der Freund von Marc, der dabei war, hat nur noch geheult. Marc hat geschrieen: „Ich blute.“ Er hat sich auf die Straße gelegt. Der Freund hat total geweint. Marc hat dann selbst die Feuerwehr gerufen.
Dann kam noch mein Schwager zufällig vorbeigefahren. Der dachte, er wird nicht mehr, da lag sein Neffe in einer Blutlache. Die Mutter hat sich dann für ihren Sohn entschuldigt. Ich habe gesagt: Mir ist egal, ob ihr das leid tut. Der Marc, der hätte sterben können.
Mein Schwager hat das Blut mit dem Gürtel abgeklemmt. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn der Schwager nicht gekommen wäre.
Drohungen auf Facebook
Wir hatten alle Angst. Und danach ging es weiter, über Facebook. Der beste Freund von Marc wurde auch über Facebook angeschrieben. Wenn du was sagst, geht’s dir noch schlechter als Marc.
Ich bin entsetzt. Dann sticht man jemanden nieder und am Abend schläft er zu Hause. Ohne Konsequenzen. Wie sollen die denn lernen? Das hat er doch irgendwie selbst zu verantworten.
Wir haben jetzt gehört, dass es einen Gerichtstermin gibt, im Juli. Das alles ist dann mehr als ein Jahr her, für so einen Jugendlichen ist das ja eine Ewigkeit. Der erinnert sich da doch kaum noch an das, was er damals getan hat.
Es geht doch um Marc.
Die Ganze Geschichte „Der Stich“ über die Gewalt Jugendlicher, die das Leben eines anderen Jugendlichen zerstört, lesen Sie in der sonntaz vom 23./24. Juni 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren