Ein Lichtblick im Fernsehen: Unser Mann in Absurdistan
Harmlosigkeit ist Dennis Gastmanns Methode. Für den NDR reist er "Mit 80.000 Fragen um die Welt" und bringt verblüffende Antworten mit: "Weltbilder", Di., 23.15 Uhr.
Auf dem Monitor erklärt Mutter Matoke gerade, wie sie mit Obst Aids heilt. Dennis Gastmann schaut sich die Szenen noch einmal an und fragt sich sehr ernsthaft, ob die Vorsitzende der Vereinigten Traditionsheiler von Kenia "böse oder nur naiv" ist.
Sie wäre überrascht, wenn sie davon erführe, denn als dieser Dennis ihr gegenüberstand mit seiner weichen Stimme und dem freundlichen Gesicht, waren da nur Offenheit, Neugier und Interesse, vielleicht ein bisschen Unglaube. Er hat sie nicht mit kritischen Fragen in die Enge getrieben, sondern nur die Bananen und die Flasche mit der Kamelmilch in die Hand genommen, damit sie ihm und den versammelten Dorfbewohnern genau erklärt, wie sie damit Krebs und Aids behandelt. Und irgendwann hat er sie nur noch reden lassen, bis sie ihre ganze furchtbare Theorie über Aids erzählt hat. "Ungehorsam" sei der Grund, warum sich so viele Menschen infizierten, sagt Mutter Matoke: "Es ist eine Strafe Gottes."
"Und dieses Interview auch", wird Dennis Gastmann im fertigen Film aus dem Off hinzufügen, aber das ist dann wieder die Seite des Reporters, die die Heilerin nicht kennengelernt hat.
Dieser Artikel erscheint am 28./29. November in der sonntaz. Außerdem gibt es unter anderem Texte über den gescheiterten Bio-Fastfood-Pionier Matthias Rischau, über Allwetter-Reifen als Klimakiller, ein neues Buch über die schmutzige Welt des Öls – und eine Kolumne über Amt und Karossen von Politikern.
Er führt sie vor als ein Beispiel für die vielen Hexendoktoren, die in Kenia das Elend der HIV-positiven Menschen vergrößern, und als makabre Antwort auf die Frage "Wo ist Afrika am schwärzesten?". Und deshalb fragt er sich beim Schneiden des Films, ob sie das verdient hat. Ob diese Frau böse ist. Oder nur naiv.
Moralische Fragen, Fragen nach Gut und Böse, scheinen eine große Rolle zu spielen in der Arbeit von Dennis Gastmann. Das ist ein bisschen überraschend, denn seine Filme kommen nicht im Tonfall flammender Anklagen oder engagierter Enthüllungsreportagen daher. Sie sind unterhaltsam und wirken manchmal sogar harmlos, weil Gastmann entdeckt hat, dass er in der Rolle des naiven Fragers und staunenden Zuhörers mehr erfährt. Harmlosigkeit als Methode, Menschen zum Reden zu bringen - und besonders wirkungsvoll Geschichten zu erzählen.
Wenn er mit einem Kollegen vor Ort aufkreuzt, denken die Leute: "Och, die Jungs." Manchmal, erzählt Gastmann, "verhalten wir uns bewusst tollpatschig, teilweise haben wir das sogar einstudiert." Den anderen Mann mit der kleinen Kamera vergessen seine Gesprächspartner oft. Im Wohnzimmer eines Neonazis, der in seinem niedersächsischen Heimatort von den Nachbarn wegen seiner Nettigkeit geschätzt wird, versinkt der Kameramann unauffällig im Sofa, während der NPD-Mann sich um Kopf und Kragen redet.
Dennis Gastmann ist 31 Jahre alt und ein Lichtblick im deutschen Fernsehen. Entdeckt und perfektioniert hat er seine Methode als Mitarbeiter beim NDR-Satiremagazin "extra 3", das in seiner langen Geschichte immer wieder ein Ort war, an dem sich solche Talente ausprobieren konnten. Hier stellte auch der Franzose "Alfons" Passanten seine ersten stotternden Fragen mit Riesenflauschmikro. Bei ihm erlebte Dennis Gastmann, wie man Leute vom Lachen zum Weinen bringen kann - "und welche Wucht das haben kann".
Gastmann spricht seine Filme in einem "Sendung mit der Maus"-Erklär-Tonfall und beginnt sie mit "Hallo, ich bin Dennis": Er ging nach Kiel, um auf einem ersten Höhepunkt der Krise der großen Koalition einfach mal die Beteiligten zu fragen, was denn da los ist und ob sie nicht miteinander reden können. Und als Skandalsenator Ronald Schill vorübergehend nach Hamburg zurückkehrte, versuchte er, ihn zu treffen, um ihm im Wesentlichen eine Frage zu stellen: Warum?
Das hatte handfeste und juristische Folgen, und unter der Lust an der Lustigkeit lag auch damals schon unverkennbar ein moralisches Urteil. "Satire braucht einen Feind", sagt Gastmann, und je böser und unbesiegbarer der Feind sei, umso größer werde die Fallhöhe zu dem hilflosen Reporter - und umso stärker der Effekt, wenn dieser kleine Held dem bösen Feind ein Bein stellt. Wenn er das erklärt, merkt man, wie viel Reflexion hinter dem scheinbar mühelosen Auftritt seiner Kunstfigur "Dennis" steckt - und dass er an der Medienakademie von ARD und ZDF Seminare gibt für all die Mitarbeiter, die von ihren Redaktionen gern mit dem Auftrag überfordert werden, schnell mal einen Film "mit leichter Hand" zu produzieren.
Keine Comedy
Gastmann legt großen Wert darauf, dass er keine "Comedy" macht. Seine Filme sollen, bei aller Leichtigkeit, relevant sein, ja sogar: etwas bewirken. "Natürlich wollen wir kritisieren, um etwas zu verbessern. Warum sollte man sonst über etwas berichten?", fragt er, und in der Frage treffen sich die treuherzige Kunstfigur Dennis und der kalkulierende Filmemacher Gastmann. Reine Unterhaltung zu machen interessiert ihn nicht.
Seit dem Sommer ist Gastmann für das NDR-Auslandsmagazin "Weltbilder" unterwegs mit der Reihe "Mit 80.000 Fragen um die Welt". Zunächst ging es durch Europa, danach durfte er auch Fragen wie "Wie stirbt es sich in Texas?", "Wo ist Nordkorea?" oder "Wo liegt eigentlich Absurdistan?" vor Ort beantworten ("vor Ort" hieß im letzten Fall Aserbaidschan). Die Frage "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" führte ihn, natürlich, zum Ku-Klux-Klan. Dennis erkundigte sich bei den netten Herrschaften, ob sie schwarze Freunde haben und es ein Problem sei, wenn er schwul wäre. Am Dienstag läuft die vorerst letzte Folge aus Afrika, im Januar geht es nach Australien, später mit etwas Glück nach Südamerika.
Für "Weltbilder" ist es der Versuch, "was Jüngeres, Frischeres zu machen". Für Gastmann ein Traumjob, aber ein außerordentlich anstrengender. Nur mit einem Kameramann reist er dann "im Husarenritt" über den jeweiligen Kontinent, für jedes Land und jede achtminütige Folge haben sie drei Drehtage, einen freien Tag hatten sie nur einmal, in Afrika, wegen einer Lebensmittelvergiftung. Hinterher sitzt er dann in dem kargen Büro nahe der Hamburger Speicherstadt, der lächerliche Möchtegern-Burberry-Koffer, Dennis Markenzeichen, dient als Unterlage für den Laptop, auf dem die Filme geschnitten werden. Gemeinsam mit Kameramann Thomas Hipp bastelt er noch einmal drei Tage an jeder Folge. "Wir wollen jede Woche einen kleinen Spielfilm machen", sagt Gastmann. Man merkt den kleinen Kunstwerken das Talent und die Arbeit an.
Produziert wird "In 80.000 Tagen um die Welt" von der Firma freeeye.tv, deren Besitzer ebenfalls aus dem "extra3"-Kosmos stammen. Als ausgelagerte NDR-Innovationsabteilung wollen sie nicht verstanden werden, aber Mitbesitzer Rainer Blank sagt: "Hier entsteht viel mehr als in einem großen Laden." Gastmann meint: "Wie wir hier arbeiten, ist kein realistisches Modell - das scheitert sonst schon daran, dass Leute Privatleben haben." Zur Not arbeiten sie bis tief in die Nacht oder am Wochenende, bis sie zufrieden sind. Auch in der Hoffnung, dass es so noch lange weitergeht mit ihrer kleinen anstrengenden Traumreihe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr