: Ein Leuchten aus der Retorte
Diana Ross, der mittlerweile 61-jährige Blueprint aller Soul-, Disco- und R-’n’-B-Diven, kam auf ihrer „Greatest Hits Tour“ auch im Berliner Tempodrom vorbei. Wer dabei zu Mitklatschreflexen neigte, brauchte sich nicht zu schämen: Der Ex-Motown-Star ist in Würde und verlässlich stilvoll älter geworden
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Was für eine Befreiung, welch kathartische Erfahrung: „Upside Down“ – und keine schlimm zwangskollektivverspaßte Hochzeitsgesellschaft und keine gruselig betrunkenen Studentenhorden beim Semesterbergfest um einen herum. Und noch besser: „You Can’t Hurry Love“ – und kein zum klammem Jive nötigender Tanzlehrer, keine schwitzend zum Tanz fordernden Jünglinge in Nadelstreifenhemd und Tweedsakko. Diana Ross live, das ist, als ob auf einen Schlag mindestens 50 Prozent der unterbewusst mit sich geschleppten – und nicht immer glamourös konnotierten – Popsozialisation heim zu Mama fände. Und dort trotz all ihrer ausgelatscherten Retortenhaftigkeit noch einmal milde anfing zu leuchten.
Die mittlerweile 61-jährige Grande Dame des Souldiventums ließ sich am Dienstagabend im Tempodrom feiern, für ihre Art der professionellen musikalischen Kundenwunschbefriedigung – aber auch für ihre erstaunliche Gebliebenheit: schön geblieben, gut geblieben.
Um kurz nach acht schwebte die bella donna im engen roten Paillettenkleid auf die Bühne. Von Anfang an hatte sie mit kleinsten, die Weltumarmung andeutenden Armbewegungen das Publikum beim Schlafittchen, verzichtete aber ganz auf die Nummer „allürenhafte Dominatrix“: Sie lächelte verschmitzt, hatte ein ganzes Arsenal an Bescheidenheitsgesten auf Lager und strich sich immer wieder ganz backfischig Strähnen ihrer Markenzeichen-Lockenmähne aus dem Gesicht. Bei alldem sah sie sehr viel besser aus als auf den allzu jugendlich gephotoshoppten Plakatbildern: natürlich und mit einem kleinen Bauchansatz. Botox und ehedem von Motown-Chef Berry Gordy eingetrichteter Diven-Habitus hin oder her – Diana Ross ist schon lange nicht mehr nur hergestelltes Abziehbildchen, sie ist die reinste, ikonisch schöne Charmeoffensive – mit zeitlos prägnanter Stimme.
Das Publikum gebärdete sich als große Unifikationsmaschine voll des Glücks und der Refrains. Und welche Unvereinbarkeiten sich da in schönster Eintracht gesellten: schnauzbärtige Familienväter in Sportshorts, Hawaiihemden und weißen Söckchen in begeisterter Wallung, junge hochgetunte Schöninchen, die sich ansonsten wohl eher an die neuere Divengeneration à la Christina, Sarah und Beoncé halten, dazu ausdruckstanzende Frauengrüppchen rot gefärbt, tigertopgewandet und süddeutsch-dialektgefärbt.
Die große Mehrheit stellte aber selbstredend die schwule Community in „Diana forever“-Glitzershirts und hingegeben an die All-time-Standards queerer Popidentität: „Stop“ – man strecke einen Arm nach vorn und knicke die Hand im rechten Winkel nach oben – „in the name of love, before you break my heart!“ Uralte Rituale, denen sich die Hohepriesterin verantwortungsbewusst unterwarf: Sie sollte Herzen brechen, ergo brach sie Herzen. Mit Stil.
Die Garderobe von Lady Motown bestimmte die Dramaturgie des Abends. Der erste Part in Rot ging, der lapidaren Tournee-Betitelung „Greatest Hits Tour“ etwas überangemessen, gleich in die Vollen: Das Medley aller großen Partyknaller aus Supremes- und Solozeiten hechelte ohne jede Pause durch das, was Diana Ross anscheinend schnell abgehakt haben wollte – „Chain Reaction“, „Where Did Our Love Go“, „Baby Love“, „You Can’t Hurry Love“. Als dann der Meisterin von helfender Hand eine lila Federstola um die Schultern gelegt wurde, war Erholung und Balladen-Time angesagt. Auf das epische „Love Hangover“ extemporierten dann die Musiker hübsch funky und minutenlang, während Madame sich umschälte und als – in der Modemagazinwelt wäre es wohl der „duftig weiße“ – Wattebausch zurückkam. So wurde der Disco-Ära gehuldigt, gefolgt von der Blues-Phase im jetzt silbrigen Schlauchkleid. Zu zwei als Hommage apostrophierten Billie-Holiday-Songs strich der Jazzbesen und tremolierte die Stimme – Diana Ross würdigte sehr angemessen die Frau, für deren Darstellung sie 1972 in „Lady Sings The Blues“ immerhin eine Oscarnominierung einheimste.
Im gelben Reifrock beschwor sie dann final die Show-Grandezza von Las Vegas („Ain’t No Mountain High Enough“), nannte das Publikum, das durchaus zahlreicher ins Tempodrom hätte passen können, schmeichlerich „most magnificent“ und verteilte symbolische Handküsse. Und zur Zugabe – seit 1995 ist das unabänderlich Gloria Gaynors „I Will Survive“ – hagelte es gleich noch zwei weitere Outfits: zunächst ein grün schillerndes Retro-Eidechsenkleid, das allein für den Schlussapplaus noch gegen ein sexy kleines Schwarzes getauscht wurde, kichernd und ganz mädchenhaft.
Nach vierzehn Nummer-eins-Hits mit den Supremes in den Sechzigern, zwölf Solo-Top-Ten-Hits bis 1985, fünf Kindern von drei Vätern, einem zweitägigen Gefängnisaufenthalt und dem Alkoholentzug hat Diana Ross einen Weg aus der Hölle der Abgehalftertheit gefunden: Sie bekennt sich kichernd und mädchenhaft zu ihrem Image, der gemachten Oberflächlichkeit, und findet genau daran Gefallen. Sie stellt sich aus wie ein Mädchen seine Kollektion an Barbiekleidern und wird genau deswegen – authentisch. Strahlt Diana Ross auf der Bühne, muss sich niemand seiner anderthalb Stunden Klatschreflex schämen.