: „Ein Lektor schreibt nicht“
ERBE Walter Pehle geht in den Ruhestand. Als Herausgeber der „Schwarzen Reihe“ im S. Fischer Verlag rückte er das Dritte Reich zurück in das Bewusstsein der Nation
■ Walter H. Pehle, Jahrgang 1941, ist ein deutscher Lektor und Historiker. Seit 1988 ist er Herausgeber der Buchreihe „Die Zeit des Nationalsozialismus“, bekannt auch als „Schwarze Reihe“ im Frankfurter S. Fischer Verlag. 1975 promovierte er an der Uni Düsseldorf und trat im Jahr darauf in den Verlag ein. 1993 wurde er zum Honorarprofessor an der Uni Innsbruck.
■ Die schwarze Reihe verdankt ihren Namen den schwarzen Umschlägen, die zu ihrem Markenzeichen wurde. Sie richtet sich nicht nur an Historiker, sondern auch an ein breites, historisch interessiertes Publikum. Der erste Band erschien 1977, und seitdem sind rund 220 Bücher über die NS-Zeit herausgekommen. Pro Jahr erscheinen derzeit zwischen 8 und 10 Titel.
VON JAN FEDDERSEN
Er warnte, als wir uns am Telefon verabredeten. Sein Büro könne unaufgeräumt sein, denn er sei gerade beschäftigt, all die Jahresringe abzutragen – auf dass sein Nachfolger nicht aus jeder Ecke ihn angeweht bekomme. Walter Pehle ist, so gesehen, ein umsichtig in den Ruhestand gehender Mann. Bloß dem Nachfolger nicht bedrohlich kommen, ihm nicht noch das Leben schwer machen. Das heißt: Er möge in die Schuhe passen, die ihm hingestellt werden. Aber auch jener Mann, der nun seine Erbschaft vorbereitet, kann nicht leugnen, dass das Hinterlassen schwierig ist: „Das wird mir nicht ganz leicht fallen.“
Die Reihe wird fortgesetzt
Ist es schmerzhaft, nicht mehr Lektor der legendären „Schwarzen Reihe“ beim S. Fischer Verlag zu sein? Pehle, eher unwuchtig von Statur, eben siebzig Jahre alt geworden, antwortet mit dem ihm typischen rheinischen Klang und einer Lebendigkeit, die seine Lebensjahre irgendwie nicht glauben lassen: „Schmerzhaft? Na hallo!“
Er kam Mitte der Siebzigerjahre zum S. Fischer Verlag, ein Historiker, der mit einer Oral-History-Studie über die nationalsozialistische Machtergreifung im Regierungsbezirk Aachen bei Wolfgang J. Mommsen promovierte. Ihn beschäftigte die Frage seiner Generation schlechthin: Wie konnten unsere Eltern das Dritte Reich möglich machen? Wie waren sie, wie handelten sie – und warum taten sie das alles?
In seinem Verlag sichtete er sogleich, was bereits an Einschlägigem erschienen war, so etwa Gustave M. Gilbert, den US-amerikanischen Gerichtspsychologen, mit seinem „Nürnberger Tagebuch“, oder den Report „Medizin ohne Menschlichkeit“ von Alexander Mitscherlich/Fred Mielke – und begründete schließlich die „Schwarze Reihe“ mit ihren charakteristischen Umschlägen. Mehr als 250 Bände sind inzwischen publiziert worden. Und nach Pehles Ruhestand wird diese Reihe fortgesetzt, „da hat mich der Verlag doch sehr zu beruhigen gewusst“.
Das absolute Juwel dieser renommierten Reihe war Raul Hilbergs Enzyklopädie des Holocaust, „Die Vernichtung der europäischen Juden“. Sie war Anfang der Achtzigerjahre bei Olle & Wolter herausgekommen, ehe sie Pehle aus der Westberliner Nische herausholte und ab 1989 – wie auch Hilbergs übriges Werk – in Deutschland durchsetzte. Der Holocaust war damals noch keine vergangenheitspolitische Chiffre, die überpädagogisiert mit Anstand und Benimm zu lesen war. Die Diskussion der nationalsozialistischen Vergangenheit war eine Angelegenheit unter Fachleuten – in die Familien getragen wurde das Thema erst durch die TV-Ausstrahlung der US-Serie „Holocaust“ (1979) mit Meryl Streep.
Pehle konnte insofern seine editorische Arbeit in einem Umfeld wachsenden Interesses platzieren. Mit der Reihe, so sagt er, identifizieren sich heute alle im Verlag, die Jungen wie die Alten, die Vertreter wie die Verlagsspitze. Dass er sich anfänglich, wie ihm auch VerlagskollegInnen anderer Häuser respektvoll attestieren, mit seinem „Programm der Aufklärung“ durchsetzen musste, wie er selbst sagt, spricht für den Mann, der nun selbst nicht so genau zu wissen scheint, wie das geht: eine Erbschaft zu hinterlassen, zu übergeben – und zu packen.
Als wir uns schließlich in seinem Verlagsbüro treffen, hatte er noch gar nichts von seinen Sachen in Kisten geräumt. Dieses Zimmer in der Frankfurter Hedderichstraße ist – das von Walter Pehle: ein gar nicht mal großer Schreibtisch, Programmtafeln, mächtige Bücherregale, darin die „Schwarze Reihe“, die später gegründete Edition „Europäische Geschichte“ und, so der Insasse dieser weniger Büro zu nennenden gemütlichen Behausung, „jede Menge Akten, Briefe, Korrespondenzen und nochmal Akten“. Alles noch nicht fertig zur Übergabe.
Der Abschied, nobilitiert mit einer Verlagsfeier in Gegenwart einiger Autoren, wird am 17. Januar … ja, begangen. Was jetzt passiere, habe, so Pehle, mit Loslassen zu tun, auch mit Sterben, mit Tod. Er wolle die Situation aber nicht dramatisieren. „Das ist auch ein sachliches Ding.“
Er sagt auf die Frage, ob er nicht ein wenig stolz sei, im besten Sinne Einsprüche gegen jedwede Vernebelung erhoben und Autoren wie Raul Hilberg, Ernst Klee, Harald Welzer, Wolfgang Benz, Wolfram Wette und Gerd Ueberschär, natürlich auch Götz Aly zu Rang verholfen zu haben? „Stolz?“ Pehle überlegt. Nein, das sei nicht das Wort, das er wählen würde, um seine Gefühle zu beschreiben, er bevorzuge Nüchternheit. „Ich habe Aufklärung versucht; meine Arbeit sah ich darin, keinerlei heiße Eisen zu umgehen und in dunkle Ecken der Zeitgeschichte hineinzuleuchten. Die von heimlichen Widerständen, die keine waren – und echter Résistance, die sonst ungewürdigt blieb. Nicht wenige Bücher der „Schwarzen Reihe“ seien „Legendenkiller“ geworden. „Wenn mir das ein wenig gelungen sein sollte, soll dies eine gute Bilanz sein. Aber Stolz? Nein, das ist mir zu pathetisch.“
Die Autoren gehen weiter
Er werde nun seine Sachen einsammeln und die persönlichen Dinge, Fotografien, Gegenstände der Erinnerung wie aus dem Setzkasten, nach Hause transportieren. Was er nach dem 17. Februar tun werde, sei noch offen. Immerhin, seine Frau sei Gruppenanalytikerin, mit ihr sei er im Dauergespräch. Wird er selber schreiben, seine Erinnerungen zum Beispiel? „Ein Lektor schreibt nicht.“ Er sei auch kein Fontane, der erst im Alter soignierter Herren seine großen Romane herausgebracht habe.
Wobei ja Walter Pehle eben nicht wie ein Alter wirkt, er hat nichts Gesetztes an sich, an alter Krawallfähigkeit scheint es ihm auch nicht zu fehlen. Pehle winkt ab. „Die Spannung ist raus, ich bin zurzeit zwar ein bisschen hochgedreht, aber das wird sich ändern.“ Er lacht, dieser Mann wirkt sogar heiter, als er sagt: „Die Autoren gehen weiter. Ich sehe sie zuerst von der Seite, dann nur noch mit ihren Rücken. Sie werden kleiner, dann sind sie weg.“ Ein filmisches Bild, das davon spricht, wie einer zurückbleibt, das Leben, das Bedeutsames birgt, von sich wegziehen lassend.
Tritt mit ihm nicht auch eine Figur ab zur passenden Zeit, da der Holocaust als glutendes Thema mehr und mehr an Dringlichkeit einbüßt? Hat nicht jedes seine Ära? Pehle sagt, ja, das könne man so sehen, aber das Thema bleibe – wie könne es auch anders sein angesichts dessen Monstrosität?
Sein Nachfolger, Bernhard Suchy, werde die Sache schon gut fortsetzen. Die „Schwarze Reihe“ lebt weiter, dessen ist Walter Pehle gewiss. Die Grundlagen für die Tatsache, dass der Nationalsozialismus nicht mehr beschwiegen wird, hat er Gott sei Dank mit gelegt. Was jetzt stattfinde, sei nur ein Wechsel am Steuer.
Man muss sich, so klingt er jedenfalls, Walter Pehle mit seiner intellektuellen Hinterlassenschaft als einen zufriedenen Mann vorstellen, allem Altwerden zum Trotz.