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Archiv-Artikel

Ein Kleinod in der Großstadt

Bisher von einer großen Öffentlichkeit unbemerkt, liegt unweit der Reeperbahn der älteste jüdische Friedhof Hamburgs. Seit sechs Jahren restauriert die Stiftung Denkmalpflege mehr als 6.000 Grabsteine. Jetzt soll der Friedhof zum Unesco-Weltkulturerbe werden

Das hügelige Gelände des jüdischen Friedhofes in Altona ist an diesem wolkenverhangenen Tag ein wenig verlassen. Viele der mehr als 6.000 Grabsteine sind mit einer leuchtend grünen Moosschicht überzogen. Es scheint, als wären sie seit der Schließung des Friedhofes 1869 völlig unberührt geblieben. Doch versteckt hinter verschlossenen Toren, Eisengittern und Backsteinmauern, liegt unweit der Reeperbahn eines der bedeutensten jüdischen Grabfelder der Welt. Bisher jedoch von einer großen Öffentlichkeit unbemerkt. Das soll sich nun ändern. Die älteste jüdische Grabstätte Hamburgs soll gemeinsam mit den jüdischen Friedhöfen in Amsterdam und Curacao Unesco-Weltkulturerbe werden.

Irina von Jagow von der „Stiftung Denkmalpflege“ in Hamburg koordiniert seit 2000 die Restaurierung und Dokumentation der historischen Grabplatten und Stelen. Eine Aufgabe, wie für sie gemacht. „Ich bin hier schon als Kind oft vorbeigefahren und habe mich gefragt, was es mit diesem Ort und den verstreuten Grabsteinen auf sich hat“, sagt sie. Heute kann sie viel über die Geschichte der sefardischen Juden erzählen, die Ende des 16. Jahrhunderts aus Portugal und Spanien nach Altona und Hamburg kamen und über die aschkenasischen, die aus Deutschland und Osteuropa stammenden Juden. Sefarden und Aschkenasim wurden hier Seite an Seite bestattet. Zunächst nach den Gemeinden Altona, Wandsbek und Hamburg getrennt, wuchsen die drei Friedhöfe im Laufe der Zeit zu einem gemeinsamen Grabfeld zusammen. Ihre unterschiedliche Grabsteinkultur, die flach liegenden Grabsteinplatten der Sefarden und die aufrecht stehenden Stelen der Aschkenasim, machen den Friedhof so einzigartig.

Bevor die Restaurierung des 1611 gegründeten Friedhofes begann, stand kaum eine der Stelen aufrecht. Heute sind 200 wieder aufgerichtet. Viele Grabsteine waren zerbrochen und lagen verstreut zwischen den Bäumen. Das Areal des Friedhofes der Hamburger Gemeinde lässt noch erahnen, wie es aussah, bevor die Stiftung ihre Arbeit aufnahm. Dieser Teil wurde im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört. „Wir dachten, hier sei kaum noch etwas zu retten“, sagt von Jagow, „aber dann haben wir viele Fragmente direkt unter der Grasnarbe gefunden.“ Diese Bruchstücke müssen nun noch zusammengefügt werden. Am Anfang gleicht dieses Unterfangen einem überdimensionalen Puzzlespiel. Auf einem quadratischen Kiesbett sind Bruchstücke der gefundenen Grabsteine ausgelegt. Hier wird sortiert und Stück um Stück wieder zusammengefügt, was zusammengehört.

Irina von Jagow sieht die Diskussion um den Friedhof als Unesco-Kulturerbe mit gemischten Gefühlen. Natürlich freue sie sich, wenn sich die Menschen für den Erhalt des jüdischen Friedhofs interessieren. Vor allem die barocke Grabkunst der sefardischen Grabplatten sei wichtiges Denkmal jüdischer Kultur. Doch „der Friedhof ist noch nicht gerüstet für wirklich viele Besucher“, sagt sie und weist über das baumbestandene Gelände, auf dem ein paar sandige Pfade zwischen den Grabsteinen hindurchführen. Zwischen den zeltförmigen Grabmalen im alten, sefardischen Teil ist oft kaum ein fußbreit Platz. Es ist ein wenig Balance gefragt, um sich die kunstvollen Details und hebräischen, portugiesischen und spanischen Grabinschriften aus der Nähe anzusehen. Busladungen von Touristen, die auf dem knapp zwei Hektar großen Gelände zwischen den Grabsteinen herumlaufen, sind momentan noch schwer vorstellbar.

Viel wichtiger als die Unesco ist für von Jagow, dass alle Grabinschriften übersetzt und sämtliche Grabsteine fotografiert wurden. „Der Friedhof ist ein steinernes Archiv jüdischer Kultur, und das haben wir nun noch ein zweites Mal für die Ewigkeit konserviert.“

Als nächstes steht der Bau eines Besucherhauses an. „Im März wird der erste Spatenstich gemacht“, sagt von Jagow. Ist das Haus erst fertig, soll es auch feste Öffnungszeiten geben. Dann kann nochmal in aller Ruhe über Weltkulturerbe nachgedacht werden. ILKA KREUTZTRÄGER