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Ein Kaff mit Ambitionen

■ Bei den Senior-Classics in Hittfeld wird weiter an der Simulation eines wirklichen Tennisturniers gearbeitet

Es gibt Orte, die zwar auf einer Landkarte verzeichnet sind, aber dennoch niemand kennt. Hittfeld zum Beispiel, ein Flecken, der immerhin eine Spielbank vorzuweisen hat, ansonsten aber von vielen Provinznestern nicht zu unterscheiden ist. Die Hittfelder als solche sehen dies natürlich anders und sprechen gerne von „ihrer Gemeinde vor den Toren Hamburgs“. Das hört sich besser an, als es ist: ein Kaff mit Ambitionen.

Wohl wissend, daß Verbalklitterungen nichts ändern, wurden vor zwei Jahren die ATP Senior Classics installiert. Schon zum dritten Male finden diese statt, ein Turnier für ehemalige Tennisprofis ab 35 Jahren aufwärts. Das Preisgeld beträgt 100.000 Dollar, obwohl die einstigen Cracks wie Ilie Nastase oder Guillermo Vilas keiner Aufbesserung der Rente bedürfen. „Die spielen aus Spaß“, sagt Turnierdirektor Frank Lichte.

Dem war nicht immer so, bis Anfang der 80er fand an gleicher Stelle ein internationales Frauen-Turnier statt. Nach der späteren Abwanderung dieser Veranstaltung an den Hamburger Rothenbaum bestand Handlungsbedarf, um der heimatlos gewordenen Lokalprominenz Marke „Der Landarzt“ ihre pseudo-exklusive Flaniermöglichkeit zu erhalten.

Dies ist gelungen. Einem echten Tennisturnier ähnlich geht es auf der Anlage zu, die sich ganz heimelig den angrenzenden Wiesen samt Schafen („Füttern verboten!“) anschmiegt. Gastrostände der Sorte „Champi und Scampi“, eine Sponsoren-Lounge und ein paar Edelkarossen - fast wie am Rothenbaum, nur viel kleiner. Von einer provinziellen Kopie will Frank Lichte jedoch nichts wissen. Er nennt es lieber den „familiären Charme“ der Veranstaltung: „Die Spieler sind zum Anfassen.“ Die Aussage ist wörtlich zu nehmen, denn manche Akteure („Die stehen voll im Saft“, so Lichte) bewegen sich auf dem Platz wie in Zeitlupe. Das erleichtert das Zuschauen, mindert aber den sportlichen Wert. Dabei sollten dieses Jahr die Spiele im Vordergrund stehen, weshalb das Teilnehmerfeld „radikal verjüngt“ wurde, wie es im Turnierheft heißt.

Auch Ken Rosewall war schon ausrangiert worden, doch die Absage Roscoe Tanners ließ den 58jährigen quasi als Lückenbüßer wieder ins 16er-Feld rutschen. Der Australier, 20 Jahre älter als sein Doppelpartner Gene Mayer und deren Gegner, hatte keine Chance mehr. Alle drei Matches gingen, wie nicht anders zu erwarten, verloren, und wenn ihm doch ein Punkt gelang, war der Ball maßgerecht vorgelegt worden. Mit Spaß hatte das nicht mehr viel zu tun, der Mann wurde vorgeführt. Er mußte den Dummen August für einen Publikums-Clown wie Mansour Bahrami („Schnippelperser“) spielen, dessen Gags einstudiert sind wie beim Catchen die vermeintlich harten Treffer. Doch das störte die knapp 3.000 Zuschauer nicht: Sie fanden auch so ihr Vergnügen. Das soll nächstes Jahr noch größer werden, denn die Veranstalter hoffen auf John McEnroe und Ivan Lendl. Wohl vergeblich: beide wissen, daß Hittfeld ein Kaff ist. Clemens Gerlach

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