: Ein Jesus im Regen
Zwischen Zappa und Marx: Silvério Pessoa, der neue Messias der nordbrasilianischen Forró-Musik, spielt bei den „Heimatklängen“
VON DANIEL BAX
Silvério Pessoa ist ein Mann der Extreme. Auf seinen Unterarm soll er sich das Wort „Forró“ eintätowiert haben, auf seine Schulter das Covermotiv einer Frank-Zappa-Platte. Davon war zwar nichts zu sehen, als Silvério Pessoa am Mittwoch seinen Einstand bei den „Heimatklängen“ gab: Die Tattoos blieben unterm halb offenen Batikhemd versteckt. Doch zu hören war davon viel: Das Konzert des Musikers, der in seiner Heimat als neuer Messias des Forró gehandelt wird, bewegte sich zwischen den beiden Polen „extrem“ und „zappaesk“.
Mit seinen langen Albrecht-Dürer-Locken wirkt Silvério Pessoa tatsächlich wie eine recht jesusmäßige Erscheinung. Aber auch sein Auftreten zeugt von Sendungsbewusstsein. „Wir repräsentieren das andere Brasilien“, erklärt er selbstbewusst und meint das nicht nur in musikalischer Hinsicht. Bevor er seine Laufbahn als Musiker einschlug, arbeitete Silvério Pessoa in den Achtzigerjahren eine Zeit lang als Lehrer und Sozialarbeiter mit Landlosen. Seitdem hat er sich eine gewisse pädagogische Ader bewahrt, wie seine kurzen Ansprachen auf Portugiesisch zeigten, in denen er von Marx und der Welt erzählte.
Zu seinem ersten Konzert am Mittwoch waren des schlechten Wetters wegen nur die hartnäckigsten „Heimatklänge“-Enthusiasten gekommen; gerade mal hundert Zuhörer verstreuten sich anfangs über das weitläufige Kulturforum am Potsdamer Platz. Doch Silvério Pessoa ließ sich von der traurigen Kulisse nicht beirren. Unverdrossen legte er einen so engagierten Auftritt hin, als gelte es, ein Stadion zu rocken.
Der Forró ist eigentlich so etwas wie brasilianische Country-Musik: Sie riecht nach Bier und Grillfleisch, nach Kirmes und Volksfest. Es ist der Sound des Hinterlands, die akkordeonbetriebene Musik der nordbrasilianischen Cowboys und Zuckerrohrbauern aus dem trockenen und staubigen Bundesstaat Pernambuco. In diesem Milieu wuchs Silvério Pessoa auf, bevor er in die Küstenstadt Recife zog, wo er die urbanen Trends kennen lernte. Inzwischen gilt Silvério Pessoa als Modernisierer der Forró-Musik – auch wenn er sich während der ersten Hälfte des Konzerts von eher traditioneller Seite zeigte.
Ein gutes Drittel des Publikums am Eröffnungsabend waren Brasilianer, die man daran erkannte, dass sie ziemlich genau zu wissen schienen, wie man sich zu den schnellen Rhythmen bewegt. Nach Lambada-Art schlängelten sie sich im Paartanz über den Platz, während der Rest des Publikums wie angewurzelt das Treiben auf der Bühne bestaunte. Dort trieben es Silvério Pessoa und seine Mannen ziemlich bunt: Erst heizten sie dem Publikum mit einigen Gassenhauern kräftig ein. Nach der Pause wurde das Akkordeon kurzzeitig gegen allerhand Percussion-Instrumente eingetauscht, und es gab eine Kostprobe nordöstlicher Rhythmen wie dem „Coco“, der einst von afrikanischen Sklaven über den Atlantik gebracht wurde. Gegen Ende hin verstieg sich die Band immer mehr zu psychedelischen Rock-Einlagen, die aber an keiner Stelle abgegriffen wirkten. Als Zugabe gab es über einen elektronischen Beat eine Art Techno-Forró inklusive Feedback-Orgie mit der Cavaquinho, einer portugiesischen Minigitarre.
Wenn man die „Heimatklänge“ als eine Art Wettbewerb betrachtet, in dem verschiedene Bands gegeneinander antreten, wie es der diesjährige Titel „Copa Americana“ nahe legt, dann wäre Silvério Pessoa ein würdiger Anwärter auf den Meistertitel. Doch leider sorgt das Wetter in diesem Jahr für eine gehörige Wettbewerbsverzerrung. Wer das Glück hat, bei schönstem Sonnenschein anzutreten wie Mimi Maura in der vergangenen Woche, dem ist die Gunst des Publikums gewiss, und sei die Musik noch so belanglos. Die im Regen aber sieht man nicht, selbst wenn sie das schlechte Wetter vergessen lassen wie Silvério Pessoa. Bleibt nur zu hoffen, dass die Temperaturen am Wochenende wieder steigen. Dann wird man vielleicht sogar erfahren, welches Frank-Zappa-Cover denn nun genau die Schulter von Silvério Pessoa ziert.
Silvério Pessoa: Freitag und Samstag ab 21.30 Uhr, Sonntag ab 19 Uhr bei den „Heimatklängen“ auf dem Kulturforum am Potsdamer Platz