Ein Jahr nach Mord an Publizisten: Schweigen für Hrant Dink

In Istanbul gedenken 10.000 Menschen des 2007 ermordeten armenischen Journalisten. Bislang wurde kein mutmaßlicher Hintermann der Tat angeklagt.

Türken auf Gedenkveranstaltung für Hrant Dink Bild: dpa

"Hrant için, Adalet için". Gerechtigkeit für Hrant Dink forderten gestern 10.000 Demonstranten in Istanbul. Sie versammelten sich an dem Ort, wo der armenische Journalisten und Menschenrechtler vor einem Jahr ermordet worden war. Nach einer Schweigeminute wies die Witwe des Ermordeten darauf hin, dass immer noch keiner der mutmaßlichen Hintermänner des Mordes vor Gericht steht. Unter dem gleichen Motto wie die Demonstration stand auch eine Gedenknacht für Dink im größten Istanbuler Kulturzentrum. Dort war der Andrang so groß, dass etliche draußen bleiben mussten.

Vor der versammelten Linken und liberalen Prominenz der Türkei sagte die indische Schriftstellerin Arundhati Roy, dass der Tod von Hrant nicht vergeblich gewesen sei. "Wenn seine Mörder beabsichtigten, ihn zum Schweigen zu bringen", so Roy, "haben sie gerade das Gegenteil erreicht." Sie, wie viele andere weltweit auch, hätte erst durch den Mord von Dinks Kampf um die Anerkennung des Genozids an den Armeniern im Osmanischen Reich erfahren. Der Mord an Hrant Dink hätte weltweite Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt.

Doch so ermutigend die Rede von Roy und die Solidarität zehntausender Istanbuler für die Armenier in der Türkei sein mag - die Bilanz ein Jahr nach dem Mord ist deprimierend. Obwohl direkt nach dem Mord am 19. Januar 2007 fast 200.000 Menschen gegen die Mörder aus der faschistischen und nationalistischen Szene demonstrierten, wurden weiter Christen ermordet und Priester angegriffen.

Begonnen hatte die Attentatserie im Februar 2006 in Trabzon. Ein 17-Jähriger erschoss den italienischen Priester Andrea Santoro. Fünf Monate später wurde erneut ein Priester angegriffen und schwer verletzt. Dann folgte der Mord an Hrant Dink durch den 17-jährigen Ogün Samast. Im April 2007 ermordeten fünf Jugendliche im Alter zwischen 17 und 21 Jahren drei christliche Missionare in Malatya. Nachdem sich die Lage wieder etwas zu entspannen schien, folgten im Dezember ein Angriff in Izmir, bei dem ein Priester schwer verletzt wurde, und ein vereitelter Anschlag in Antalya.

Während der Mord an Hrant Dink für die alteingesessene armenische Gemeinde der Türkei sowie die linken und linksliberalen Intellektuellen des Landes gesellschaftlich eine entscheidende Zäsur war, wurden die protestantischen Gemeinden vor allem durch die Morde in Malatya aufgeschreckt. "Es hat etwas gedauert, bis wir verstanden haben, was das für uns bedeutete", erzählt Holger Nollmann, Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Istanbul. "Aber spätestens als wir im Gemeinderat hauptsächlich über Sicherheitsmaßnahmen sprechen mussten, ist jedem klar geworden, dass sich die Lage drastisch verändert hat." Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen der Mordanschläge haben dazu geführt, dass es eine Zeit dauerte, um zu erkennen, dass der Hintergrund der Täter ähnlich ist.

"Die Täter", so fasst es der Nebenklägeranwalt im Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder von Malatya, Orhan Cengiz, zusammen, "haben in allen Fällen dasselbe Profil." Sie sind zwischen 17 und 22 Jahre alt, sie waren in Jugendgruppen der nationalistisch bis neofaschistischen MHP oder BBP. Ihre älteren Anstifter kamen alle aus dem Dunstkreis dieser Parteien, und alle hatten vor ihren Taten dubiose Kontakte zu Polizei- oder Militärkreisen. Dazu passt, dass bei den Ermittlungen Material wie Aufzeichnungen von Telefonaten oder Videoaufnahmen, die diese Kontakte bestätigen könnten, verschwanden. Deshalb konnten die Hintermänner der Täter weder im Fall Dink noch in Malatya ermittelt werden.

Stattdessen wird unterschwellig an der Legende, christliche Missionare und Christen seien eine Bedrohung für die Türkei, weitergestrickt. Ein Abrücken von diesen muslimisch-nationalistischen Verschwörungstheorien, wie sie auch in populären Fernsehserien verbreitet werden, ist nicht zu erkennen. Zwar hat die Regierung die Taten verurteilt, doch der Innenminister der regierenden moderat-islamischen AKP hat keinen Versuch unternommen, den rechtsradikalen Sumpf trockenzulegen.

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