Ein Jahr kein Protektionismus: Apec-Gipfel als neoliberaler Jubelevent
Wirtschaftswachstum geht nur mit "freiem Markt und Freihandel", verkündet der scheidende US-Präsident George W. Bush in Lima - und wettert gegen Regulierung.
Der Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (Apec) an diesem Wochenende hatte etwas Gespenstisches. Es handle sich um das "erste Treffen nach der Krise", behauptete Gastgeber Alan García, Präsident Perus und mit 19 Prozent Zustimmung beim Wahlvolk der unpopulärste Präsident Amerikas.
Im eigenen Land sieht sich Garcia wegen der besonders rücksichtslosen Ausbeutung von Öl, Gas und mineralischen Rohstoffen durch transnationale Konzerne nahezu täglich mit Protesten konfrontiert. Beim Gipfel wollte er glänzen: "Bei uns finden die Investitionen Zuflucht, die aus anderen Ländern fliehen", sagte der Präsident - und schwärmte von einer großen Freihandelszone der 21 Apec-Mitglieder, auf die 46 Prozent des Welthandels entfallen, darunter die USA, Russland und China. Mehr noch: Er sorgte auch dafür, dass eine gemeinsame Erklärung gegen den Protektionismus verabschiedet wurde: Da Maßnahmen zum Schutz der heimischen Wirtschaft die Krise nur verschärften, wolle man in den nächsten zwölf Monaten auf Investitions- oder Handelshindernisse verzichten.
Zuvor hatte US-Präsident George W. Bush vor Unternehmern ein von jeglicher Selbstkritik ungetrübtes Credo zum Besten gegeben. "Wir sollten unsere Anstrengungen auf drei große Kräfte für das Wirtschaftswachstum konzentrieren: freie Märkte, Freihandel und freie Menschen", sagte der scheidende US-Präsident. "Freie Märkte bieten den Menschen die Freiheit zu wählen, wo sie arbeiten wollen", behauptete Bush, als gäbe es weder den Todesstreifen an der Grenze zu Mexiko noch die "Festung Europa". Höchst eigenwillig schrieb er den Aufstieg der asiatischen Tigerstaaten in den letzten Jahrzehnten dem Freihandel zu und meinte: "Nicht zu wenige Regierungseingriffe in die Märkte bedrohen den Wohlstand, sondern zu viele." Schließlich bekannte er sich auch noch zu einer "Agenda des Mitgefühls" und sagte voraus, nach der Überwindung der Finanzkrise werde "eine neue Ära des Wohlstands" anbrechen.
Pragmatischer forderten die Chilenin Michelle Bachelet und der Chinese Hu Jintao eine größere Rolle der Entwicklungsländer in Weltbank und IWF. Außerdem erklärten die Staats- und Regierungschefs, sie strebten einen raschen Abschluss der so genannten Doha-Entwicklungsrunde im Rahmen der Welthandelsorganisation an. Die Verhandlungen stocken seit Jahren, weil sich die Industrieländer weigern, ihre Subventionen der einheimischen Landwirtschaft und die Handelsschranken für Agrarprodukte aus dem Süden deutlich abzubauen.
Kein Wunder, dass der peruanische Ökonom Humberto Campodónico diese Vorsätze als "fromme Wünsche" abtut: "Zu Zeiten des Wachstums haben die Industrieländer ihre Volkswirtschaften nicht geöffnet, warum sollten sie es jetzt tun?"
In den Straßen Limas protestierten unterdessen tausende Gewerkschafter und Studierende. "Der von der Apec praktizierte Neoliberalismus hat die Völker Lateinamerikas ins Elend gestürzt und die Reichen reicher gemacht", erklärten sie. Die Peruaner sollten sich nicht von der "Pro-Apec-Medienlawine einschüchtern" lassen. Attackiert wurden vor allem Gastgeber García, "Kriegsverbrecher" Bush und der von Bush gelobte Präsident Álvaro Uribe, der ein Freihandelsabkommen des Apec-Anwärters Kolumbien mit Kanada in die Wege leitete.
Auf einem Festessen zu Ehren von Hu Jintao hielt García eine völlig unverständliche Rede auf Mandarin. "Egal, was er sagen wollte, die Absicht zählt", zitierte die Tageszeitung El Comercio Mitglieder der chinesischen Delegation.
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