Ein Jahr Rot-Schwarz: Eine muss es machen
Nach einem Jahr Rot-Schwarz wirkt Klaus Wowereit verbraucht. Sollte er vorzeitig das Handtuch werfen, hat die SPD nur eine Option: Integrationssenatorin Dilek Kolat. Eine Analyse aus der neuen taz.berlin-Wochenendausgabe.
Seit einem Jahr regiert Rot-Schwarz nun die Stadt. Eines ist dem Regierenden Bürgermeister in dieser Zeit gründlich gelungen: Er hat sich selbst demontiert. Klaus Wowereit ist angeschlagen wie nie. Sollte er das Flughafendebakel politisch nicht überstehen, muss sich die SPD nach Alternativen umsehen.
Die Frage nach einem Plan B stellte sich für die SPD ein ganzes Jahrzehnt lang überhaupt nicht. Klaus Wowereit, Regierender seit Sommer 2001, war fast durchweg beliebtester Politiker der Stadt. Gönnte er sich mal ein Tief, war er spätestens zum nächsten Wahlkampf wieder fit: Die Grüne Renate Künast musste das bei der Wahl 2011 erleben.
Dieser Text ist Teil des aktuellen Schwerpunkts der neuen taz.berlin-Wochenendausgabe. Sie erscheint zum dritten Mal am 17. November und bietet auf zwölf Seiten Recherche, Interviews, Meinung, Kolumnen und viel Kultur.
Das Schwerpunktthema "1 Jahr Rot-Schwarz" verhandelt die Lage der Regierungsparteien SPD und CDU nach einem Jahr Koalition - und die potentiellen Nachrücker der angeschlagenen Spitzen Klaus Wowereit und Frank Henkel: Dilek Kolat bei den Sozialdemokraten und Mario Czaja bei der CDU.
Zudem im neuen Wochenendteil der taz.berlin unter anderem:
- Interview mit Katrin Schell, Trauerrednerin
- ein Porträt des Schauspielers Peter Kurth, der jetzt als "Bahnwärter Thiel" auf der Bühne des Gorki-Theaters steht
- der vierteilige Wochenrückblick
Mit dem BER-Desaster aber ist Wowereit, zugleich Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft, so tief gefallen wie nie. Er liegt nur noch auf Platz 10 im Beliebtheitsranking der Berliner Politiker. Kein anderer deutscher Ministerpräsident schneidet so schlecht ab. Und die SPD leidet mit ihm: Sie rutschte im Herbst erstmals seit zweieinhalb Jahren hinter die CDU. Wer also soll Wowereit folgen, falls er im Flughafensumpf versinkt? Oder im Herbst 2013 den (Aus-)Weg in eine Bundesregierung mit SPD-Beteiligung findet?
Eigentlich wäre diese Frage schnell beantwortet. Denn beliebtester Politiker ist auch ohne Wowereit einer, der für die SPD im Senat sitzt. Doch Finanzsenator Ulrich Nußbaum verweigert sich strikt gegen einen SPD-Eintritt. Ein Parteiloser als Spitzenkandidat aber gilt als ausgeschlossen – es wäre eine Bankrotterklärung für das eigene Personal der Sozialdemokraten.
Auch die in solchen Fällen üblichen Verdächtigen, Partei- und Fraktionschef, kommen als Ersatz nicht infrage: Jan Stöß, erst im Juli an die SPD-Spitze gewählt, fehlt das Standing ebenso wie dem Fraktionschef Raed Saleh.
Es ist nicht das Programm
Das verschärft die Lage. Denn die Wahl 2011 hat klar gezeigt, wie viel über den Spitzenkandidaten läuft. Nicht mit ihrem Programm, sondern mit der Anziehungskraft Wowereits hat die SPD gewonnen. Künast und CDU-Mann Frank Henkel waren keine Gegner für ihn. Das könnte aber schon bald anders aussehen: Die CDU-Senatoren Thomas Heilmann und Mario Czaja schwimmen schon jetzt auf einer Sympathiewelle.
Wer der SPD bleibt, ist eine Frau, die 2011 gern Finanzsenatorin geworden wäre und stattdessen das Ressort Arbeit, Integration und Frauen bekam – ohne dass sie sich zuvor in diesen Feldern hervorgetan hätte. Dilek Kolat, 45, wäre ein echtes Novum. Zwar hatte die SPD 1995 mit Ingrid Stahmer schon mal eine Spitzenkandidatin, aber eben noch nie eine türkischstämmige. Sie ist nicht rundum beliebt wie Malu Dreyer, die Kurt Beck in Rheinland-Pfalz politisch beerben soll. Sie bringt keinen Saal zum Beben, wenn sie redet. Aber an ihr führt kein Weg vorbei, wenn sich Nußbaum die Sache mit dem Parteieintritt nicht noch mal überlegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin