: Ein Goliath an Hoffnung
In ihrem zweiten Match gelingt den deutschen Volleyballerinnen beim 1:3 gegen die USA zwarkein erneutes Aufholwunder, dennoch dürfen sie sich für eine weitere starke Leistung feiern lassen
AUS ATHEN FRANK KETTERER
Die Hoffnung kam Mitte des dritten Satzes und sie war nicht bereit, sich so schnell wieder vertreiben zu lassen. Ganz im Gegenteil: Sie wuchs stetig, wurde größer und größer und größer – und als die deutschen Volleyballerinnen diesen dritten Satz mit 25:22 gegen die USA gewonnen hatten und auch gegen Ende des vierten immer noch blendend im Rennen lagen, da war aus dieser anfangs noch so kleinen Hoffnung ein halber Riese geworden. Auch die gar nicht so kleine und durchaus laute Anhängerschaft der deutschen Volleyballerinas im modernen Peace & Friendship Stadium, wo das olympische Volleyballturnier stattfindet, machte lautstark deutlich, dass sie ein erneutes Wunder für möglich hielt. Die Hoffnung hatte sich vollends zum Goliath ausgewachsen.
Ein paar Schmetterbälle später war sie wieder zu einem Zwerg zusammengeschrumpft. Deutschland hatte sein zweites Spiel der Gruppe B nicht gewonnen gegen die USA, den Weltranglistenzweiten und Vizeweltmeister, sondern mit 1:3 (22:25, 22:25, 25:22 und 25:27) verloren. Und es hatte damit kein Mirakel gegeben, so wie zwei Tage zuvor gegen die ebenfalls favorisierten Kubanerinnen. Auch gegen die lag das Team des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) mit 0:2 im Hintertreffen, nur dass sie da das Match noch drehten. Wie die deutsche Mannschaft mittlerweile überhaupt auf diesen wundersamen Spielverlauf spezialisiert scheint: Schon die Olympiaqualifikation hatte sie durch 3:2-Siege über Russland und Italien jeweils nach Rückstand zuwege gebracht.
Am Montagabend in Athen war nicht die Zeit für Wunder, was so richtig tragisch allerdings weder von der deutschen Fanschar noch von den Spielerinnen selbst empfunden wurde. Die USA sind schließlich einer der Topfavoriten auf Gold – und die DVV-Frauen hatten erneut ein hochklassiges Spiel hingelegt. Am Ende gingen sie erhobenen Hauptes als bejubelte Kämpferinnen vom Feld und drehten sogar eine kleine Ehrenrunde.
„Wir haben ja trotzdem gut gespielt“, nannte Angelina Grün den Grund für diese. Und deshalb könne man „mit beiden Spielen zufrieden sein“, also mit dem Sieg gegen Kuba und auch mit der Niederlage gegen die USA, zumal es den Amerikanerinnen in keinem der vier Sätze gelungen war, sich vorentscheidend abzusetzen; jeder Durchgang wurde erst im Schlussspurt entschieden. „Bis vor kurzem haben wir gegen solche Gegner auch immer mal wieder Sätze mit zu zwölf verloren“, wies Grün auf diesen Umstand hin und stellte fest: „Wir haben jetzt mehr Konstanz.“
Normalerweise sind es Trainer, die solche Sätze sagen, aber das ist bei den deutschen Volleyballerinnen ein bisschen schwer. Die haben seit vier Jahren Hee Wan Lee als Coach, einen Südkoreaner, und so vorzüglich seine Volleyballkenntnisse sind, so schwer fällt es immer noch, sein Deutsch zu verstehen. Deshalb ist Angelina Grün auch stets bei den Pressekonferenzen dabei, und während Hee Wan Lee oben auf dem Podium sitzt, beantwortet die Mannschaftskapitänin unten im Auditorium die Fragen der Journalisten, die sie anzieht wie das Licht Motten.
Dazu muss man sagen, dass Grün mehr ist als nur Kapitänin. Im Prinzip ist sie ein bisschen der Trainer auf dem Platz, das Herz und der Motor dieser deutschen Mannschaft. Sie treibt sie an und baut sie auf, sie lobt und tadelt. Und wenn ihnen besonders schöne Punkte gelingen, dann hüpft keine höher und jubelt mehr als Angelina Grün. „Sie ist immer die Lauteste“, sagt Christiane Fürst, die Frau vom Mittelblock. Und natürlich ist sie (fast) immer die Beste und macht die meisten Punkte, gegen die USA waren es 20. Im Prinzip ist Angelina Grün, die bei Foppapedretti Bergamo in Italien, wo Volleyball eine große Nummer darstellt, ein gefeierter Star ist, die einzige wirkliche Weltklassespielerin im deutschen Team.
Nun ist so etwas ja immer auch gefährlich in einem Team, gerade unter Frauen, wo gern mal gezickt wird. Bei den deutschen Volleyballerinnen aber wird das akzeptiert. Zum einen wissen die Kolleginnen, dass sie gar nicht hier wären bei Olympia ohne Angelina Grün; zum anderen mag die 24-Jährige die Primavolleyballerina des Teams sein, eine Diva ist sie nicht. „Wir sind eine Mannschaft. Eine spielt für die andere, jede kämpft für jede“, sagt Birgit Thumm. Diesen Satz bekommt man fast von allen deutschen Spielerinnen zu hören, vielleicht ist das ja der Grund, warum sie auch scheinbar aussichtslose Situationen zu drehen in der Lage sind. Eine Spielerin allein kann das nicht – sechs können es schon.
„Wir bleiben immer dran und geben nie auf“, sagt Tanja Hart, die Zuspielerin. Und fast hätte das auch gegen die USA gereicht, wie auch Birgit Thumm bemerkt hat: „Wenn man ihnen im vierten Satz in die Augen geschaut hat, hat man schon gesehen, dass sie nicht mehr so selbstbewusst waren.“ Und wenn man von der Tribüne aus zugeschaut hat, hat es einen Moment so ausgesehen, als würden die deutschen Spielerinnen immer größer und stärker und die Amerikanerinnen immer kleiner und schwächer. „Aber am Ende haben eben doch die gewonnen“, sagt Birgit Thumm.
Verloren ist dennoch nichts bei diesem olympischen Turnier. Gruppenvierte müssen die deutschen Frauen werden, um das Viertelfinale, ihr Ziel, zu erreichen, noch einen Sieg benötigen sie dafür mindestens. Schon heute geht es gegen Russland, wieder so ein Hammer. Andererseits: „Gegen die haben wir zuletzt zweimal gewonnen, da gehen wir mit sehr viel Selbstvertrauen rein“, sagt Tanja Hart. „Wir glauben an uns. Wir können an uns glauben.“