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Ein Geschenk an die Welt

Ein Malaria-Impfstoff aus Kolumbien offenbart die Borniertheit westlicher Wissenschaft / Immunologe verzichtet auf Geldsegen und stellt den Impfstoff kostenlos der WHO zur Verfügung  ■ Von Ute Sprenger

Ein kolumbianischer Biochemiker beschämte im Mai dieses Jahres die Kollegen westlicher Länder. Manuel E. Patarroyo, Immunologe an der Universität von Bogota, schlug finanzielle Angebote in Millionenhöhe von Pharmaunternehmen aus und stiftete die Patentrechte an einem von ihm entwickelten Impfstoff gegen Malaria der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Patarroyo will damit sicherstellen, „daß der Impfstoff den Armen und denjenigen, die ihn brauchen, zum möglichst niedrigsten Preis zu Verfügung steht.“ Die notwendigen drei Injektionen des Impfstoffes sollen, hergestellt in Kolumbien, weniger als einen halben Dollar kosten. Für Tore Gordal, Direktor im WHO-Programm für Tropenkrankheiten (TDR), ist es „eine ungewöhnliche Situation“, daß ein Forscher seine Rechte an die WHO abtritt. Schließlich wurde der Impfstoff ohne Unterstützung seiner Organisation erforscht – die Gelder dazu kommen in erster Linie von der kolumbianischen Regierung. „Das ist Kolumbiens Geschenk an die Welt“, erklärte Patarroyo bei der Übergabe in Genf. Diese erste Malaria-Vakzine mit dem Namen SPf66, deren Schutzwirkung bislang bei etwa 40 Prozent liegt, wird nun unter der Ägide des WHO/ TDR-Programmes weiter untersucht und entwickelt. Ein einziger weiterer Wissenschaftler hat bislang zugunsten der Allgemeinheit auf seine Pfründe verzichtet: Albert Sabin spendete 1972 der WHO seinen Polio-Impfstoff.

Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Regionen, in denen Malaria vorkommt. An der gefährlichsten Form, der Malaria tropica, verursacht durch den Erreger Plasmodium falciparum, sterben, so schätzt die WHO, pro Jahr zwischen 500.000 und 1,2 Millionen Menschen, in erster Linie Kinder. Überträger der Parasitenkrankheit ist die weibliche Anopheles-Mücke, die in stehenden Gewässern brütet. Mit ihrem Stich überträgt sie den einzelligen Parasiten Plasmodium, der die meiste Zeit seiner Entwicklung und Differenzierung in menschlichen Leberzellen oder in den roten Blutkörperchen (Erythrozyten) verbringt. Dort vermehrt er sich über verschiedene Entwicklungsstadien, bis die Erythrozyten platzen und immer neue Parasiten ausschütten, die in immer mehr Blutkörperchen eindringen und sie zerstören. In diesem sogenannten Blutstadium treten etwa alle 48 Stunden die Symptome der Erkrankung, Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost, Fieber und Mattigkeit, auf. Vom Immunsystem und der chemotherapeutischen Versorgung hängt es ab, wie eine Infektion individuell bewältigt wird. Durch wiederholte Infektionen entwickeln Menschen, die in Malaria-endemischen Regionen leben, eine Teilimmunität, die den Verlauf erneuter Erkrankungen mildert. Diese erworbene Immunität geht allerdings leicht verloren, wenn das Malariagebiet verlassen wird.

Als ein Problem für die Malaria- Behandlung hat sich die rasche Resistenzentwicklung der Parasiten gegen chemische Wirkstoffe herausgestellt. Deshalb setzt die WHO in ihrem Programm, mit dem die Organisation die Erkrankung eindämmen will, auf die Suche nach neuen Medikamenten. So werden derzeit Abkömmlinge des Artemisinin, das aus der chinesischen Heilpflanze Quinghao stammt, auf ihre Wirksamkeit bei cerebraler Malaria überprüft. Besonders viel aber wird sich von der Entwicklung von Impfstoffen gegen den Parasiten oder gegen die Krankheit versprochen.

Manuel Patarroyos Forschung und sein Anti-Malaria-Serum SPf66 hatten in den vergangenen Jahren zu heftigsten Kontroversen in den USA und Europa geführt. Dort wurde – mit viel Geld aber nur mageren Erfolgen – gentechnologisch nach einem Malaria- Impfstoff gesucht. Als Patarroyo 1988 erstmals erklärte, daß ein von ihm biochemisch hergestellter Impfstoff (synthetische Peptide aus der Hülle des Parasiten) bei freiwilligen Testpersonen in seinem Land Wirkung gezeigt hatte, wollte dem kolumbianischen Forscher kaum jemand in der Scientific Community glauben. Mißtrauen, gepaart mit Mißgunst und westlicher Arroganz schlugen Patarroyo entgegen.

Niemand wisse, womit er arbeite, behaupteten renommierte Kollegen auf Kongressen und in Artikeln. Auch bei forschenden Pharmafirmen, wie Hoffman-LaRoche oder den Behringwerken, hieß es, seine Versuche seien nicht nachvollziehbar. Und noch 1991, als Patarroyo in Kolumbien schon zu einem Volkshelden avanciert war, weigerte sich der britische medizinische Forschungsrat MRC, an seinem Institut im westafrikanischen Gambia klinische Tests mit dem SPf66-Impfstoff durchzuführen. Es fehlen „Informationen über Zusammensetzung, Dosierung und Toxizität“, hieß es. Was allerdings auch der MRC wissen mußte: Seit 1990 schon lagen Daten dazu bei der WHO. Patarroyo sah deshalb den einzigen „Fehler“ des Impfstoffes darin, daß er nicht in einem europäischen oder US-amerikanischen Labor entstand, sondern in einem Land der Dritten Welt. „Niemand glaubt, daß gute Wissenschaft in einem Entwicklungsland durchgeführt werden kann“, konterte er den wissenschaftlichen Widerstand. Erst als sich die US-Armee, die auf der Suche ist nach einem Malaria-Impfstoff für Einsätze in tropischen Regionen, für das Serum interessierte und am Walter- Reed-Army-Institute Versuchsreihen begann, änderte sich das Klima.

Der Durchbruch für die Anerkennung seiner Arbeit kam nun in diesem Frühjahr. In der britischen Wissenschaftszeitschrift The Lancet veröffentlichte Patarroyos Team – für alle nachvollziehbar – die Ergebnisse eines klinischen Tests mit dem Impfserum in einem Malariagebiet an der kolumbianischen Pazifikküste. Danach hat SPf66 bei einer semi-immunen Bevölkerung einen Schutzeffekt von durchschnittlich 38,8 Prozent und ist besonders wirksam bei Kindern zwischen ein und vier Jahren und bei Erwachsenen über 45 Jahren. Unklar ist allerdings, wie der Impfstoff wirkt, denn es konnte kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Antikörper und der Schutzwirkung festgestellt werden.

„Der Impfstoff ist keine Wunderwaffe“, sagt Howard Engers, leitender Immunologe bei der WHO in Genf. „Ganz sicher aber ist er ein Fortschritt für die medikamentöse Behandlung der Malaria.“ Jetzt müßten noch weitere Untersuchungen folgen. Klinische Tests laufen zur Zeit in Tanzania, Kolumbien, Thailand und bald auch in Gambia. Erste Ergebnisse werden für Mitte 1995 erwartet. Engers rechnet damit, daß es noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis der Impfstoff eingesetzt werden kann „bei denen, die ihn brauchen“.

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