piwik no script img

Ein Gemeinschaftsgarten verbessert den nachbarschaftlichen Zusammenhalt. Aber nur, wenn die Leute mitmachenAm Fuß der Hochhäuser

AM RAND

Klaus Irler

Ende der 1960er-Jahre gab es in Niendorf-Nord den Versuch, eine Hochhaussiedlung mit menschlichem Antlitz zu bauen. Kurz vor der Stadtgrenze errichtete die Baugenossenschaft freier Gewerkschaften plattenbauhafte Klötze und nur halb so hohe Rotklinker-Flachbauten um eine Grünfläche herum. Die Flachbauten stehen den Klötzen gegenüber wie ein Korrektiv. „Mäßigt Euch“, scheinen die Flachbauten den Klötzen zu sagen. „Ihr seid hässlich, ihr seid nur hier wegen des Wohnraums.“

Die Grünfläche hat sich im Lauf der Jahre zum Park gemausert. Die Bäume sind groß und es gibt Spielplätze – einer davon besteht aus einer Burgkulisse zum Rumklettern, die als Bühnenbild für ein Freilufttheater taugen würde, aber vor den Hochhäusern ihre burghafte Autorität verliert. Die Spielplätze sind gut gepflegt, die Baugenossenschaft lässt sich nicht lumpen.

Eigentlich erzählen will ich aber von dem Gemeinschaftsgarten, der sich am Fuß der Hochhäuser befindet. Der Gemeinschaftsgarten ist so groß wie ein Tennisfeld und besteht zu guten Teilen aus Nutzpflanzen – aber nicht nur, es geht nicht nur ums Ernten, sondern auch ums Blühen und Schauen.

Der Garten ist labyrinthartig aufgebaut, jeder kann reingehen und es gibt ein kleines Gartenhäuschen, in dem Werkzeug gelagert ist. Der Garten ist ein Angebot der Baugenossenschaft, um das Leben in der Siedlung angenehmer zu machen und den nachbarschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.

Als ich kürzlich vorbeiging, traf ich eine Mitarbeiterin der Baugenossenschaft, die nach dem Rechten sah. Es fehle an Anwohnern, die sich um den Garten kümmern, sagte sie. Woran das liege, fragte ich. „Die Leute“, meinte sie, „haben für so was keine Zeit mehr.“

Nun gibt es viele Gärten in Niendorf und darunter ist fast keiner, der einfach nur vor sich hinwächst. Im Gegenteil: Die Niendorfer Gärten bekommen viel Aufmerksamkeit, man sieht die Leute nicht nur oft und hingebungsvoll arbeiten, man sieht auch, wie sie die anderen Gärten begutachten. Dass in Niendorf die Zeit zum Garteln fehlt, kann nicht sein.

Ich glaube, das Problem des Gemeinschaftsgartens ist ein anderes. Die Leute wollen was eigenes. Sie sagen: Wenn ich schon im Plattenbau leben muss, dann will ich wenigstens einen eigenen Garten. Und wenn das nicht geht, dann will ich wenigstens meine Ruhe. Weil Du nie weißt, wer da an Deiner Seite die Rabatten umgräbt. Es könnte eine Kopftuchträgerin sein. Oder eine von der AfD. Oder ein Farbiger. Oder ein Werder-Bremen-Fan. Und was von denen zu halten ist, steht im Internet.

Schön ist, dass die Kinder den Garten lieben. Wenn sie klein sind, mögen sie, dass der Garten wie ein Labyrith aufgebaut ist. Wenn sie größer sind, mögen sie das Werkzeug im Gartenhäuschen. Die Kinder nutzen den Garten. Das bringt den Garten nicht voran. Den ganzen Rest aber später vielleicht schon.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen