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Archiv-Artikel

Ein Gemälde-Schicksal

Das Essener Museum Folkwang soll ein Kirchner-Gemälde an die Erben eines jüdischen Sammlers zurück geben

Unberührt von dem Wirbel, den es zurzeit verursacht, hängt das Gemälde „Leipziger Straße mit elektrischer Bahn“ von Ernst Ludwig Kirchner an seinem Platz im Altbau des Essener Museums Folkwang. Auf welchen Wegen das expressionistische Bild dorthin gekommen ist, muss nun aufwändig geklärt werden. Denn den Direktor des Essener Museums, Hartwig Fischer, erreichte vor kurzem ein so genanntes Restitutionsbegehren. Nachfahren der ehemaligen jüdischen Gemäldebesitzer möchten das Bild zurück haben.

Es stammt aus demselben Bestand des Erfurter Kunstsammlers Alfred Hess wie Kirchners Bild „Berliner Straßenszene“ von 1913, berichtet die Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Dieses Gemälde war im Juli an die Erben zurückgegeben worden, weil die Familie des Sammlers es unter dem Druck der Nazis verkaufen musste.

Welches Schicksal Kirchners „Leipziger Straße“ widerfahren ist, muss jetzt rekonstruiert werden. Provenienzforschung nennen die Wissenschaftler das. Bisher gibt es nach Angaben von Museumsdirektor Fischer keine Hinweise, dass das Bild unrechtmäßig erworben wurde.

Bekannt ist, dass Kirchner das Bild im Jahr 1914 gemalt hat. Es war die Zeit, in der er seine Serie berühmter Großstadtbilder schuf. Sie alle zeigen das Leben im modernen Berlin jener Jahre. Unter dem NS-Regime wurden seine Werke in Museen beschlagnahmt, seine Kunst als „entartet“ diffamiert. 1938 beging Kirchner Selbstmord. Seine Bilder haben aktuell eine Diskussion über NS-Raubkunst entfacht.

Das Essener Museum ist nicht das einzige, das sich mit Rückgabeforderungen auseinander setzen muss. „Es gibt kaum ein Haus, das nicht mit solchen Forderungen konfrontiert wird“, sagt Ulli Seegers, Geschäftsführerin des Kölner Art Loss Registers, einer Datenbank für verschwundene Bilder. Das Kölner Museum Ludwig hatte 1999 als eines der ersten deutschen Museen ein von Nazis beschlagnahmtes Bild zurückgegeben.

Was aus der „Leipziger Straße“ wird, ist noch unklar. Wenn die Erben einen berechtigten Anspruch hätten, dann müsse es zurück gegeben werden, sagt Seegers. „Das gehört zu den Konsequenzen, die aus der NS-Zeit zu ziehen sind.“ Ein „unglaublicher Kunst- und Kulturverlust“ könne das dennoch sein. „Wenn das Bild dieses Haus verlässt, wird es vielleicht in New York ausgestellt oder gar nicht mehr zu sehen sein.“ KATHARINA HEIMEIER