: Ein Freak mit schlauer Ironie
EINE ODE AN WAWERZINEK
Pastellgelbe Petunien, fünfzig Damen jenseits der sechzig in sommerlichen Strickjacken und höchstens eine Handvoll jüngerer Leute: Dass es mit dieser Lesung am Mittwoch im Kulturhaus Karlshorst etwas werden wird, steht anfangs sehr zu bezweifeln. Doch kaum beginnt Peter Wawerzinek, aus seinem kommenden Roman mit dem Arbeitstitel „Schluckspecht“ zu lesen, ist jede Sorge verflogen. Einem wie Wawerzinek ist es herzlich egal, vor wem er liest. Einer wie Wawerzinek ist viel zu oft schon in skurrilen Zusammenhängen aufgetreten, als dass er sich noch aus dem Konzept bringen lassen würde.
Peter Wawerzinek, der nächstes Jahr sechzig wird, zog 1978 nach Ostberlin, er jobbte als Briefträger, Kellner und zog als Performancekünstler, Stegreifpoet und Stimmenimitator durch die Kneipen in Prenzlauer Berg – man muss ihn sich wohl als eine Art Hofnarr der Literatenszene vorstellen, als Totalverweigerer, ja Anarcho, der er auch noch in die Neunziger hinein blieb, als er ein Buch nach dem anderen schrieb, das kaum einer las. 2003 war er am Ende und zog sich zurück. Als er sieben Jahre später, im Jahr 2010, für einen Text aus seinem Roman „Rabenliebe“ den Bachmann-Preis bekam, da lasen die Kritiker ihn als „Schmerzensmann“, der sich in manchmal fast schon peinlichem Pathos die Geschichte der eigenen Mutterlosigkeit, „vom Leib geschrieben“ habe. Es schien, als habe der Literaturbetrieb vergessen, was für ein Typ dieser Wawerzinek ist – und dass dieses Buch, wie er auch in Karlshorst betont, seine letzte Chance war. Nur mit so einem Buch, einem preisgekrönten Bestseller, konnte er sich aus dem Sumpf von Suff, Vergessenheit und ökonomischem Desaster ziehen.
Hier, in Karlshorst, kommt das alles wieder heraus. Alles, was man bei Wawerzinek als blutigen Ernst lesen kann, wirkt bei ihm auf der Bühne sehr viel lustiger. Wie schon in „Rabenliebe“ geht es auch in dem neuen Buch nur vordergründig um Aufarbeitung – also in diesem Fall um die eigene Alkoholkrankheit, die Wawerzinek offenbar nur knapp überlebt hat. Doch die Art, wie er liest, in wie vielen Stimmen er laut und leise spricht, dabei wild gestikuliert, auf der Bühne umherstampft und sich auch mal unterm Tisch verkriecht, lässt keinen Zweifel: Da schaut ein Freak mit schlauer Ironie auf die Fallen, die er sich im Laufe der Zeit selbst gestellt hat. Es ist wichtig, dass es in dieser Stadt, wo sogar die Dichter sich mit immer faltenfreieren Lebensläufen verkaufen, noch solche gibt wie ihn.
SUSANNE MESSMER