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Archiv-Artikel

Ein Flugplatz will hoch hinaus

Schleswig-Holsteins Landtag berät über ein neues Luftverkehrskonzept. Weit draußen, in Jagel, fiebert man der Debatte entgegen. Denn für den Bundeswehr-Fliegerhorst a.D. gibt es ehrgeizige Pläne: Den Aufstieg zum Luftdrehkreuz des Nordens

von Esther Geißlinger

Der Nebel ist so dicht, dass der Blick kaum 20 Meter weit reicht. Verschwommen im Dunst bleckt ein Panterkopf weiße Zähne im roten Rachen: Das Maskottchen des Aufklärungsgeschwaders 51 „Immelmann“ wacht am Eingang des Nato-Flughafens Jagel, der Platz selbst verschwindet in den Schwaden. Rainer Schößler kennt das: „Oft genug war überall gutes Wetter, nur wir konnten wegen Nebel nicht aufsteigen.“

Schößler war Flieger, der Flugplatz Jagel seine Heimatbasis. Jetzt ist er wieder da: als Zivilist mit einer Mission. Jagel soll ein neues Luftdrehkreuz für den Norden werden, ein ziviler Flughafen auf dem Militärgelände entstehen.

Architekt Werner Schmidt, der mit Schößler zum Ortstermin an den Flughafen gereist ist, hat Bilder dabei, die er in der Pizzeria „Sole Mio“ ausbreitet. Das „Sole Mio“ ist einer der gastronomisch-touristischen Höhepunkte in Jagel, das Dorf selbst ist, wie viele kleine Gemeinden in Schleswig-Holstein, eine Beule an der Straße, eine Häuseransammlung zu beiden Seiten der B 77, die parallel zur Autobahn 7 das Land von Nord nach Süd durchschneidet.

Wer in Jagel lebt, kennt den Verkehr – den der Straße und den des Flughafens. Seit 1916 starten und landen hier Maschinen. Heute ist das Gelände des Platzes zehnmal so groß wie der bebaute Ortsteil. Zwei Start- und Landebahnen überschneiden sich in einem breiten X, sie sind so lang, dass Maschinen jeder Größe hier landen dürfen. Rosinenbomber starteten von hier einst nach Berlin, Flüge gingen in den Kosovo. Heute sind Tornados in Jagel stationiert: 1982 kamen sie, die ersten, die bundesweit eingesetzt wurden. Das machte das Dorf in der Schleswig-Holsteinischen Provinz zu einem wichtigen Punkt in den Militärkarten: Bei den Leuten in der Umgebung hieß es in den 80er Jahren, dass der Flughafen sicher ein Angriffsziel der ersten oder zweiten Welle darstellte, wenn es zu einem Krieg käme.

„Der Flughafen ist ein ungeschliffener Diamant für die ganze Region“, schwärmte der FDP-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Jürgen Koppelin, als im Oktober der Vorvertrag zur zivilen Mitbenutzung des Flughafens unterzeichnet wurde. Zurzeit wird der Rohling geschliffen, ab 2008 sollen, wenn alles nach dem Willen der Betreibergesellschaft Airgate SH geht, Chartermaschinen von Jagel aus starten.

„Wohltuend lautlos“ sei an diesem Plan gebastelt worden, lobte ein Kommentator der Regionalzeitung – was sicherlich stimmt, gemessen an dem Getöse, das seit Monaten, seit Jahren fast, um die anderen Flughäfen des Landes gemacht wird: Lübeck-Blankensee und Kiel-Holtenau kommen kaum jemals aus den Schlagzeilen heraus.

Wohltuend lautlos – das heißt aber auch, dass da zwei einfach klare Kante gemacht haben: Denn über den Flughafen bestimmt die Bundeswehr, sie darf Verträge schließen, ohne andere groß zu fragen. Die Anwohner beispielsweise.

Die Betreibergesellschaft Airgate allerdings hat gefragt: „Die Geschäftsführer wollen nicht gegen die Leute arbeiten“, erklärt Mike Friedrichsen, Professor an der Fachhochschule Flensburg und ehrenamtlich als Pressesprecher für Airgate zuständig: „Die haben ja nicht viel Geld und wenig Ahnung von Pressearbeit.“

Ihn selbst reize das Projekt, sagt Friedrichsen, er lässt seine Studenten hier am lebenden Modell PR üben: „Wir sind jetzt in der Öffentlichkeit, und mit jedem Schlag in Kiel oder Lübeck rücken wir weiter in den Blickpunkt.“

Bevor es so richtig losgegangen war mit dem Trubel, hatten die Airgate-Leute sich in den Nachbarorten vorgestellt. „Es gab keinen großen Streit“, sagt Johannes F. Ketelsen, Bürgermeister von Jagel. „Wir haben Bedingungen gestellt, und wenn sie sich daran halten, ist das für uns befriedigend.“ Keine Nachtflüge, keine Transportflüge, Ruhe an den Wochenenden lauteten die Forderungen der Gemeinde – da Airgate das zusichert, stimmte der Gemeinderat, wie auch die Räte der Nachbargemeinden, dem Projekt zu. „Ob das nun klappt, wird man sehen“, meint Ketelsen. Er schätzt die Chancen auf 50 zu 50: „Wir gehen ja kein Risiko ein. Wenn das klappt, ist gut, wenn nicht, dann eben nicht.“

Dabei gibt es Proteste, Angst vor noch mehr Fluglärm, Dreck und dem Wertverlust der Häuser: Mit moderaten Zahlen und Zusicherungen versuchten die Betreiber, die Bevölkerung ruhig zu halten, fürchtet ein Anwohner: „Sind dann Tatsachen geschaffen, wird man mit dem Argument der Arbeitsplätze alle Absichtserklärungen über Bord werfen und Wochenend-, Nacht- und Cargoflüge einwerben.“

Ein Leserbriefschreiber erinnert an seine Erfahrungen mit dem Dortmunder Flughafen, der ebenfalls klein anfing und dann immer größer wurde. Eine Bürgerinitiative versucht im Internet und auf Versammlungen, den Flughafen zu verhindern.

Die Airgate-Leute aber ködern mit dem heutzutage besten aller Totschlagargumente: Arbeitsplätze. „Tausende“ könnten entstehen, hieß es schon in Berichten. Nein, nein, wehrt Friedrichsen ab: „Aber wenn es läuft, kommt eine Maschinerie in Gang, die Schubkraft für die ganze Region hat.“ Zurzeit geplant ist, dass es jeden Werktag zwischen 7 und 20 Uhr acht Flüge geben wird, mittelfristig sollen 350.000 Passagiere jährlich über Jagel reisen. Rund 55 Millionen Euro müssen investiert werden. Bisher hat Airgate, deren Geschäftsführer ein ehemaliger Pilot und ein Kreistagsabgeordneter sind, allerdings noch keine Investoren oder Kooperationen mit Fluglinien, die den Platz nutzen wollen. Dennoch fehlt ein wichtiges Detail: die Zustimmung des Landes.

Zwar hatte die Regierungspartei CDU Jagel durchaus schon früher auf der Rechnung. Allerdings als Warenumschlagplatz: „Der Bedarf ist da, weil Hamburg Fuhlsbüttel langfristig vermutlich ausgelastet ist“, sagte Peter Harry Carstensen, damals noch CDU-Spitzenkandidat, im Jahr 2004. Die Fuhlsbüttler waren erstaunt, ein Lufthansa-Sprecher warnte von „Investitionsruinen auf der grünen Wiese“.

Airgate kalkuliert heute anders: Die Betreiber hoffen auf Reisende aus dem ganzen Norden, auch aus Dänemark. Denn Jagel bietet einen Vorteil: große Parkplätze und Autobahnnähe. Der für Verkehr zuständige Minister Dietrich Austermann ist offenkundig kein Freund des Drehkreuzes auf dem platten Land: Für das luftrechtliche Genehmigungsverfahren seien eine Potenzialanalyse und ein Finanzierungskonzept notwendig: „Beides ist von der Airgate noch beizubringen.“

Genau das sei aber schwierig, sagt Airgate-Sprecher Friedrichsen: „Ohne Genehmigung können wir noch nicht mit Investoren verhandeln und bekommen noch keine Zusagen.“ Die Gesellschaft sei dabei, die notwendigen Papiere fertig zu stellen. Aber: „Wir konnten noch nicht einmal im kleinen Kreis mit Herrn Austermann reden.“

Dabei gehe das Land kein Risiko ein, wenn es die Nutzung zulasse: „Ich habe darum wenig Verständnis für das Ministerium.“ Immerhin spielen die Entwicklungen in Kiel und Lübeck Jagel immer bessere Karten zu. „Wir sehen das mit Gelassenheit“, sagt Friedrichsen. „Aber wir wären natürlich nicht böse, wenn wir das Potenzial abschöpfen könnten.“ Wie sagt der Bürgermeister von Jagel in fußballerischer Weisheit: „Wir warten mal ab, dann muss man das sehen.“