Ein Fernsehmagazin für Selektivseher: Der Name ist "Programm"
Zwei Frankfurter Journalisten haben eine Fernsehzeitschrift entwickelt, die sie gern lesen würden - aber nicht unbedingt auch selber machen müssen.
Er schaut Nachrichten, "Tatort", manchmal freitagabends die Talkshow im NDR. Wenn Martin Schmitz-Kuhl fernsieht, braucht er kein TV-Programm, so vorhersehbar sind seine Sehgewohnheiten.
Und jetzt sitzt er zusammen mit seinem Kompagnon Christian Sälzer in einer der ältesten Cafékneipen in Berlin-Mitte und schiebt eben doch ein Programmheft über den Tisch, 150 Seiten dick. Auf dem Cover prangt Napoleon, hoch zu Ross im Nebelfeld; Programm steht in Versalien über dem Filmstill auf dem Titel und "Magazin für Fernsehen und Kultur". Eines, das er definitiv kaufen würde, findet Schmitz-Kuhl. Nur: Man kann das Heft nicht kaufen, es ist ein Dummy - noch.
Die beiden kommen gerade von einem Termin bei einem Verlag, mal wieder, wie so oft in den letzten Monaten. Seit sie im vergangenen Frühsommer den Dummy von Programm endlich fertig hatten, putzen Schmitz-Kuhl und Sälzer Klinken mit ihrem "Programmie"-Konzept, wie die Fernsehzeitschriften in der Branche heißen. Zu anders, zu teuer, zu überflüssig, hieß es von Großverlagen wie Burda, Bauer und Springer.
"Wir glauben, dass viele Leute TV Movie kaufen, weil sie keine Alternative sehen. Oder sie kaufen gar keine Fernsehzeitschrift", sagt Schmitz-Kuhl. Er und Sälzer sind Journalisten, arbeiteten lange als Zeitschriftenredakteure, kennen die Branche. Seit drei Wochen sind die Enddreißiger überzeugter denn je, dass ihr Magazin einen Markt hat. Ende Januar starteten sie in die zweite Runde: Sie gingen online, werben mit Beispielseiten für ihre Idee, sammeln Aboanträge für dieses Heft, das es noch gar nicht gibt. Rund 500 Interessenten sind es bislang. "Wir sind nicht alleine", erklärt Sälzer. Er klingt erleichtert.
Das Unterfangen, ausgerechnet jetzt ausgerechnet ein TV-Heft auf den Markt zu werfen, ist wenn nicht größenwahnsinnig, so doch Wahnsinn. Denn in Deutschland gibt es momentan zu viele Magazine für zu wenig Anzeigenvolumen, einige Titel sind bekanntlich schon über die Klinge gesprungen. Die Krise hat die Verlage schon so am Wickel, dass der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger seinen Jahresgipfel vorige Woche dem Thema "Innovationen" gewidmet hat: Man ist verzweifelt auf der Suche nach dem goldenen Blatt.
Programm zielt mitten in diesen Überfluss. Derzeit sind beim offiziellen Zählorgan IVW genau 23 TV-Magazine gelistet. Der Dinosaurier Hörzu hat seit 1998 knapp 50 Prozent an Auflage eingebüßt, der aktuelle Relaunch solle helfen, jüngere Käufer zu gewinnen, heißt es. Das Einheitsbreiige, das man gemeinhin dem Fernsehprogramm attestiert, spiegelt sich in diesem Genre: Der größte Unterschied zwischen TV pur, TV Spielfilm oder TV 14 ist der Preis; mal 50 Cent, mal 1,60 Euro für eine, zwei oder vier Wochen Vorschau. Ansonsten Klone: tiefdékolletierte Diven vor blauem Hintergrund auf dem Cover, die Haare windgekräuselt, das Gesicht weichzeichnerglatt; und bei gefühlt der Hälfte ist es Jennifer Aniston.
Der Napoleon auf dem Programm-Titel deutet den Unterschied schon optisch an. Schmitz-Kuhl blättert das klar gelayoutete Heft auf: eine Mischung aus kulturSpiegel und dem Programmheft von Arte: Kultur- und Fernsehprogramm in einem, die Highlights in allen Sparten vorsortiert. Statt pro Tag ein Dutzend Seiten Vollprogramm für alle Sender nur eine Doppelseite, "für Selektivseher, den meisten Trash lassen wir raus" - etwa RTL2. Diese Kombination kennen die beiden von ihrer früheren Arbeit: Sie arbeiteten zusammen beim Stadtmagazin journal Frankfurt, Schmitz-Kuhl lange als stellvertretender Chefredakteur. Denn ob journal oder andere Stadtmagazine: Sie liefern längst diesen Mix, den Programm bundesweit und edel designt bieten will. Wer braucht da ein extra TV-Magazin? Noch dazu, wo sich inzwischen jeder auf den Webseiten der Programmies seine individuelle Sendungsliste zusammensuchen kann. Ganz zu schweigen von jenen, die sich Filme und Serien gleich auf DVD anschauen oder aus dem Internet fischen.
Andererseits: Schaut man sich neue Titel der vergangenen Jahre an, lässt sich Programm durchaus einer Sparte zuordnen, die sich inzwischen etabliert hat. Das Heft, das da im Café neben der Apfelschorle liegt, verhält sich zu Hörzu und Co wie etwa brand eins zum Manag0er Magazin, Monopol zu art oder 11 Freunde zum kicker: Es ist gedacht für Leute, die eher in eines jener Cafés gehen, in dem auf jeden Gast ein aufgeklappter Laptop kommt, als in die dunkle Kaschemme mit Studentenkneipenflair. Eben für die mit mehr Bildung, Einkommen und ironisch gebrochenem TV-Interesse als der Durchschnitt.
"Unsere Zielgruppe ist aber keine kleine elitäre Nische", gebetsmühlenartig wiederholen die beiden Frankfurter die Formel. Sie sind gebrannte Kinder. Deswegen auch die Website: Die Resonanz soll beweisen, dass das Heft Auflage machen kann, auch wenn es am Kiosk mindestens 2,50 Euro kostet, Qualität ist teuer. Und schließlich ist da ja noch der Joker, das Supplement Glotzilla: ein Programmheft speziell für Kinder, das jeder Ausgabe beiliegen soll. Orientierung für Eltern, die ihren Kindern die Flimmerkiste nicht verbieten wollen, aber auf Qualitäts-Glotzen bestehen.
Was immer passiert: Die Erfinder von Programm wollen ihre Idee vor allem realisiert sehen. Mitmachen wollen sie nicht unbedingt. "Berater und Begleiter", das reiche ihnen. "Inzwischen stehen ein paar Türen offen", formuliert es Schmitz-Kuhl diplomatisch. "Die Frage ist nur: Durch welche gehen wir? Die einen bieten an, den Druck zu übernehmen, andere wollen beim Vertrieb helfen. Vielleicht wird es am Ende ja eine Art Verlags-Joint-Venture."
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