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Ein Exklusivrecht auf profitables Leben

Die Biotechindustrie droht mit Abwanderung, falls die EG nicht bald ein Patentrecht verabschiedet, das die exklusive Verwertung gentechnisch manipulierter Lebewesen ermöglicht / Fast 7.000 „Erfindungen“ liegen dem Europäischen Patentamt in München vor / Chemiemultis geben sich optimistisch  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Sandra Keegan hat die Schnauze voll. Jahrelang ist sie von Konferenz zu Konferenz gereist, immer darum bemüht, den wissenschaft-wirtschaftlichen Fortschritt rechtlich abzusichern. Als Zuständige für Patentfragen in der Abteilung Industriepolitik der EG-Kommission war sie eine gefragte Frau. Besonders die VertreterInnen der Pharma-Agro -Chemieindustrie hofierten sie. Schließlich hatte die Rechtsanwältin den EG-Gesetzentwurf verfaßt, der die in jahrelanger Arbeit zusammengebastelten Gentechprodukte patentrechtlich absichern sollte. Wer auch immer Sandra Keegan bezahlte, eigentlich schien sie unbezahlbar zu sein. Denn es ging nicht nur darum, ganze Generationen neuer, mit gentechnischen Mitteln erzeugter Medikamente, Nahrungspflanzen und Nutztiere EG-weit verwertbar zu machen. Auch der Versuch, lästige Konkurrenz wie Bauern und Züchter auf dem strategisch bedeutenden Markt für Lebensmittel auszuschalten oder abhängig zu machen wurde von Sandra Keegan tatkräftig unterstützt.

Doch Sandra Keegan hat Pech gehabt. Sie wird nun für das Scheitern der Patentrechtsverhandlungen zwischen Agrochemieindustrie, Züchterorganisationen und KommissionsvertreterInnen Anfang Februar in Genf verantwortlich gemacht. Was war geschehen?

Im Oktober 1988 hatte die EG-Kommission nach fünfjähriger Vorbereitung den Vorschlag für eine Richtlinie über die Patentierung gentechnisch veränderter Lebewesen vorgestellt. Die EG-Behörde reagierte damit auf intensiven Druck der Industrielobby, die schon seit Jahren droht, ihre Produktionsstätten in andere Länder zu verlagern, wenn nicht bald die Verwertung ihrer Gentechprodukte patentrechtlich abgesichert würde. Bislang ist die Patentierung gentechnisch manipulierter Lebewesen in EG-Europa nur eingeschränkt möglich.

Daß es die Pharma-Agro-Chemieindustrie ernst meint, zeigt die große Zahl der im Bereich Gentechnologie angesiedelten Patentanträge: Fast 7.000 Erfindungen - neue Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere oder deren Produkte warten im Europäischen Patentamt (EPA) in München auf den Schutz der exklusiven Nutzungsrechte. Schließlich kann man sich das Geschäft mit hyperproduktiven „Nutzorganismen“ wie der - dank Menschengenen - Muttermilch produzierenden Superkuh oder Pharma-Schafen, in deren Milch Pharmazeutika „geerntet“ werden, nicht einfach entgehen lassen. In den USA und Japan wisse man, so argumentieren PatentbefürworterInnen wie Keegan, was man den Multis schuldig sei. In der neuen Welt werden schon seit 1980 Patente auf gentechnisch veränderte Mikroorganismen vergeben. 1988 erhielt die Harvard Universität zusammen mit der Firma Dupont sogar ein Patent auf gentechnisch krebsanfällig gemachte Mäuse. Gegen die Patierung gentechnisch manipulierter Tiere wächst jetzt jedoch auch in den USA der Widerstand. Senator Mark Hatfield brachte am 26. Februar im US-Kongreß einen Gesetzesentwurf ein, der ein fünfjähriges Moratorium für die Patentierung von Tieren vorsieht.

Aus Sorge um die Vermarktungsmöglichkeiten für ihre „reizvollen“ Produkte drängen gerade die Gentechfirmen aus den USA auf eine rasche Lösung der Patentfrage. Als Einpeitscher dient ihnen die Weltorganisation für intellektuelles Eigentum (WIPO). Die WIPO ist eine Unterorganisation der UNO und wacht weltweit über den Schutz des geistigen Eigentums. Da sich auch die japanische Regierung die Argumentation der WIPO zu eigen machte, wollte Sandra Keegan nicht nachstehen. Sie übernahm gewichtige Teile einer im Auftrag der WIPO erstellten Patentrechtsstudie in ihren Gesetzesvorschlag, den sie dann im Oktober 1988 vorstellte. Selbst für viele Mitgliedsregierungen im Ministerrat, dem höchsten Entscheidungsgremium der EG, war der Vorschlag jedoch zu industriefreundlich. Und trotz des Widerstands vor allem von Regierungen der südlichen EG-Staaten wie Griechenland und der Züchter- und Bauernverbände blieb Sandra Keegan optimistisch: Nach unzähligen Diskussionen, auf denen der Vorschlag wieder und wieder überarbeitet wurde, legte sie den Kontrahenten schließlich im Herbst vergangenen Jahres eine vollständig überarbeitete Fassung vor. Die Reaktion darauf war so vielversprechend, daß Keegan in Genf den lang ersehnten Durchbruch erwartete. Doch stattdessen endete die hochrangig bestückte Konferenz Anfang Februar in einem Fiasko, wie die Internationale Aktion zum Erhalt der genetischen Resourcenvielfalt (GRAIN) berichtete. 16 Monate intensiven Verhandelns waren für die Katz.

Züchter und Bauern

fürchten um ihre Existenz

Der Konflikt zwischen der Patentlobby einerseits und den Züchter- und Bauernorganisationen andererseits zieht sich quer durch die Mitgliedsregierungen der EG und entsprechend durch den Rat, aber auch durch die Kommission zwischen den Abteilungen für Industrie und Landwirtschaft, erklärt der Brüsseler Vertreter der Internationalen Bauernkoordination (CPE), Gerard Choplin. Gewichtigster Gegner der Patentlobby ist der Internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) aus 18 Industrieländer. Denn den Züchtern steht das Wasser bis zum Hals. In den 60er und 70er Jahren hatten die Agrochemiemultis bereits einen Großteil der kleinen und mittleren Zuchtfirmen aufgekauft, um „landwirtschaftliche Produktionsmittel und lebendes Reproduktionsmaterial“, wie Pflanzen und Tiere in der Verwertungssprache genannt werden, „optimal aufeinander auszurichten“. Mit der Patentierungsrichtlinie im Rücken, so befürchten die verbliebenen unabhängigen Züchter, würden die Multis zum letzten Übernahmegefecht blasen.

Ähnlich geht es den Bauern. Auch sie wehren sich dagegen, durch das angestrebte Patentrecht in völlige Abhängigkeit der schon jetzt den Markt dominierenden Agrochemiemultis zu geraten. Die Übernahme des gesamten Produktionszweiges durch die Multis würde sie zu bloßen Handlangern degradieren. Denn wenn gentechnisch manipulierte Lebewesen als technische Erfindungen gelten und als solche patentierbar sind, wird die Vermehrung dieser Lebewesen gebührenpflichtig, sagt der unabhängige Rechtsexperte für Gentechnikfragen, Dan Leskien. Nutzpflanzen und Tiere, die gentechnisch „aufgeladen“ wurden, gehören dann nicht mehr den Bauern, sondern sind Eigentum der Patentinhaber. Zwar kauften auch Züchter und Bauern Saatgut, Pflanzen und Tiere, so der Agrarexperte bei den Euro-Grünen in Brüssel, Hannes Lorenzen, aber sie beanspruchten nicht die Urheberschaft einer ganzen Pflanzensorte oder Tierrasse und die daraus hergestellten Lebensmittel und Produkte. Die Verwendung geschützten Saatgutes durch Bäuerinnen und Bauern für den Eigenbedarf oder durch andere Züchter für die Weiterzüchtung werde von dem Sortenschutz nicht berührt. Bereits durch das Sortenschutzabkommen sei eine gewisse Abhängigkeit entstanden, weil damit vor allem Hybridsorten gefördert werden, die die Bauern zum jährlichen Neueinkauf des Saatgutes zwingen. In Zukünft müßten die Bauern aber sogar Lizenzgebühren zahlen, wenn sie das eigene Erntegut für die Aussaat im nächsten Jahr verwenden wollten. Um konkurrenzfähig zu bleiben, so fürchtet Lorenzen, „werden die Bauern nicht umhin können, mit den Gentechprodukten zu arbeiten“. Für absehbar hält er es, daß dann auf „einzelnen Pflanzen gleich mehrere Patente liegen - beispielsweise zur Erhöhung des Eiweißgehalts und zur Herbizidresistenz“. Patente jedoch garantieren den BesitzerInnen über 17 Jahre hin die exklusiven Nutzungsrechte - und mithin die völlige Kontrolle über Züchter und Bauern. Daß sich die Biotechlobby auch damit nicht zufrieden gibt, zeigt ein Brief des Vorsitzenden der Pharmagruppe Roussel-Uclaf, Pierre Joly, vom 21. August 1989. Darin fordert er Kommissionspräsident Jacques Delors auf, dafür zu sorgen, daß die unzumutbar „kurze Patentfrist verlängert“ wird. Gesagt - getan: Ende März forderte die EG-Kommission den Ministerrat auf, die Patentfrist auf Pharmaprodukte um 16 Jahre zu verlängern.

Daß Delors sich um die Anliegen der Industrie auch wirklich kümmert, dafür sorgt Sandra Keegans früherer Kollege Brian Ager. Bis zum 1. Februar arbeitete er im Auftrag der Forschungs- und Technikabteilung der EG-Kommission und der in Paris ansässigen OECD-Zentrale der 24 wichtigsten Industrieländer an Vorschriften zur Regulierung biotechnologischer Verfahren. Jetzt ist er Direktor der im Juli letzten Jahres gegründeten Lobbygruppe Senior Advisory Group Biotechnology (SAGB), mit der die Chefs der europäischen Chemiefirmen ihre EG-weite Einflußnahme auf die Gesetzgebung im Bereich der Biotechnologie koordinieren wollen. Die „Beratungsgruppe“ SAGB agiert als Speerspitze der sieben sattsam bekannten Chemiefirmen Monsanto, Hoechst, Sandoz, Unilever, ICI, Farmitalia und Rhone-Poulenc Sant, die im Europäischen Rat der Chemischen Industrie (CEFIC) zusammengeschlossen sind. Unterstützt wird die Chemielobby von der vor drei Jahren gegründeten Lobbyorganisation der Saatgutindustrie (GIBP) und von einem Ende Februar in Paris gegründeten Europäischen Zentrum zur Standardisierung biotechnischer Produkte. In diesem Zentrum wollen die Industrievertreter ihre eigenen Standards entwickeln, um so einer ihnen nicht genehmen Standardisierung durch die EG -Behörde zuvorkommen. Direktor ist Brian Ager.

Wie weitreichend sein Einfluß ist, zeigte sich Mitte März, als die EG-Wirtschaftsminister in Brüssel Förderungsmöglichkeiten für die Biotechnologie diskutierten. Grundlage war ein „Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen“, das weitgehend auf Berichten basierte, die von SAGB und OECD erstellt waren. O-Ton: „Die Gemeinschaft muß alles in ihrer Macht stehende tun, um die Öffentlichkeit über die Vorzüge, Probleme und die Auswirkungen der Biotechnologie zu unterrichten.“ Schließlich „geht es um hohe Einsätze“. Deswegen „wäre es von besonderem Nutzen für die Kommission, wenn folgende Frage erörtert werden könnte: Ist die Besorgnis der Öffentlichkeit gerechtfertigt, und - wenn ja - wird der bereits geplante Rahmen der Rechtsvorschriften die Lage verbessern?“

Das enge Netz von HelfershelferInnen für die Industriebosse operiert nicht nur im Rat und in der Kommission sondern auch im Parlament, das von der Überarbeitung der Patentierungsrichtlinie ausgeschlossen wurde. Bis heute verweigern Kommission und Rat den EuroparlamentarierInnen einen Einblick in den weitgehend neuen Vorschlag. Grundlage für die geplante Abstimmung des Europaparlaments im Juni ist deshalb die total veraltete Patentrechtsvorlage vom Oktober 1988. Daß die ParlamentarierInnen dabei nicht aus der Reihe tanzen, dafür sorgen Europaabgeordnete wie der belgische Volksvertreter Ferdinand Herman. Unter dem Vorsitz des Christdemokraten läßt sich seit Dezember letzten Jahres eine Gruppe von Gentechfans um die bundesdeutschen EuroparlamentarierInnen Franz Stauffenberg (CSU), Honor Funk (CDU), Reinhold Bocklet (CSU) und Hedwig Keppelhof (CDU) von Industrieexperten beraten, wie auch im Parlament für eine freundliche Biotechatmosphäre gesorgt werden kann. Wie die im EP vertretenen Grünen behaupten, leistet ihnen dabei der im Rechtsausschuß des Parlaments für Patentierung zuständige Berichterstatter der SPD, Willi Rothley, Schützenhilfe. Um die Kritik an der Richtlinie möglichst klein zu halten, unterstützte er Stauffenbergs Vorstoß, bei dem für Mai geplanten Hearing des Parlaments zur Patentierung nur die juristischen Aspekte zu behandeln.

Daneben verfügt die Industrie auch über beste Kontakte zum Europäischen Patentamt in München. Dort versucht ein gewisser Herr Gugerell seit Jahren den im Brennpunkt der Auseinandersetzung stehenden Paragraphen 53b im Sinne der Chemiemultis auszulegen. Zwar schließt das Patentabkommen von 1973 Erfindungen bei Pflanzensorten und Tierarten vom Patentschutz aus. Was jedoch genau eine Sorte ist, das versucht nun jede Seite in ihrem Interesse zu interpretieren. Da gentechnisch manipulierte Mikroorganismen oder deren Produkte aber patentierbar sind, soll dies nach Meinung von Gugerell auch auf gentechnisch veränderte höhere Lebewesen zutreffen können. Denn wenn die atomisierten Einzelteile einer Pflanze Patentschutz erhalten, warum dann nicht auch die ganze Pflanzensorte. In diesem Sinne entschied das Patentamt am 29. März letzten Jahres, der US -Firma Lubrizol ein Patent für ein Verfahren zu gewähren, mit dem Gene in Nutzpflanzen eingeschleust werden, die den Proteingehalt in den Zellen erhöhen. Das Patent umfaßt aber nicht nur das Verfahren, sondern auch alle damit gewonnen Zellen und Pflanzen. Lubrizol hat das Verfahren bislang nur an Kleepflanzen angewandt, besitzt mit dem Patent aber alle Rechte über Zellen und Pflanzen, die mit diesem Verfahren möglicherweise erzeugt werden. Da jedoch holländische Züchter- und Umweltgruppen gegen diese Entscheidung Widerspruch eingelegt haben, muß jetzt die Schlichtungsabteilung des Patentamts entscheiden. Zurückhaltung demonstrierte das EPA dagegen bei der Patentierung von Tieren. Das Patent auf die sogenannte „Havard-Maus“ lehnte das EPA mit der Begründung ab, daß der 53b nicht nur die Patentierung von Tierarten sondern von Tieren generell verbietet.

Unterstützt werden die Züchter-, Bauern- und Umweltverbände von den Grünen im Europaparlament. Zusammen mit GRAIN organisierten sie vor einem Jahr eine Konferenz zu dem Thema „Patentierung von Leben in Europa“. Das Fazit der versammelten Experten von Umwelt- und Bauernverbänden fiel verheerend aus. Mitorganisator und grüner Europaparlamentarier Friedrich-Wilhelm Graefe zu Bahringdorf: „Wer der Patentierung von Lebewesen zustimmt, legt die Kontrolle zukünftiger Ernährungsgrundlagen in die Hände weniger Agrarmultis, die die Biotechnologie schon heute kontrollieren. Der Reichtum an genetischen Resourcen, über den wir in Europa verfügen, stammt zu einem großen Teil aus der Dritten Welt und ist Generationen von Züchtern und Bauern zu verdanken.“ Warum, so fragt Bahringdorf, der selbst Bauer ist, soll jetzt dieses gemeinsame Erbe privatisiert und damit verringert werden? Die Antwort hat Gerard Choplin von der Internationalen Bauernkoordination parat. Doch nur, „weil durch die Patentfähigkeit von Lebewesen der Anreiz erhöht wird, sie zu kommerziellen Zwecken genetisch zu verändern. Dadurch werden aber Tiere noch stärker zu reinen Produktionsanlagen degradiert. Außerdem wird die Zahl der Freisetzungen von gentechnisch manipulierten Organismen zunehmen.“ Alternativen, sagt Choplin, würden gar nicht mehr überlegt.

Inzwischen führen die Chemiemultis weltweite Übernahmeschlachten, um für den erwarteten harten Konkurrenzkampf auf dem Biotechmarkt in den 90er Jahren gerüstet zu sein. Mitte Februar gab die Baseler Firma Roche Holding bekannt, daß sie die größte US-amerikanische Biotechfirma zu 60 Prozent aufkaufen wird. Im letzten Jahr fusionierten allein in den USA 550 Biotechfirmen. Experten der französischen Regierung rechnen nach der Verabschiedung des EG-Patentgesetzes mit einem Konzentrationsboom im europäischen Agrobusineß. Der „Hightechrevolution“ wollen die Binnenmarktfetischisten wie Kommissar Martin Bangemann nicht im Wege stehen. Deshalb wird jetzt in der EG-Behörde mit Hochdruck an einem neuen Kompromiß gebastelt. Als Termin ist der September angepeilt - gerade rechtzeitig für die dann beginnenden GATT-Verhandlungen in Brüssel, wo unter anderem der weltweite Schutz gentechnologischer Erfindungen beschlossen werden soll.

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