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Ein (Bundes–)Anwalt für AIDS–Opfer

■ Bundesanwalt Manfred Bruns diskutierte in Berlin über „AIDS im Strafvollzug - Strafe wegen AIDS“ vom Kassiberjäger in Stammheim zum Anwalt der AIDS– Infizierten / Unpopuläre Forderung nach Verteilung von Einwegspritzen an Drogenabhängige / Berührungsängste oder „Die Juristen tun sich bei AIDS so schwer“

Von Plutonia Plarre

Berlin (taz) - „Wir wollen uns hier nicht zu Buhmännern machen lassen“, hatte die Behörde des Senators für Justiz die Einladung zur Podiumsdisskussion zum Thema „AIDS im Strafvollzug - Strafe wegen AIDS“, in der vergangenen Woche in Berlin, ausgeschlagen. Unterstützung bekamen die Rechtsanwälte, die Vertreterin der Ärtzekammer Berlin und der leitende Arzt des Berliner Haftkrankenhauses auf dem Podium dann von ganz ungewohnter Seite: Als Diskutant kam Bundesanwalt Manfred Bruns (53) aus Karlsruhe, beim Thema AIDS und Bürgerrecht alles andere als ein Buhmann. Der Kassiberjäger von Stammheim wandelte sich zum (Bundes–)Anwalt der Infizierten. Bruns - „ich bin sehr betroffen von dem Problem“ - bekannte sich während der Kießling–Affaire öffentlich zur Homosexualität. Tenor: Ich bestreite nichts, also bin ich auch nicht erpreßbar. In Sachen AIDS auch durch die Erkrankung von Freunden persönlich engagiert, gerät er deshalb zunehmend unter Beschuß. Ein unbequemer Jurist Nach dem Wörner–Debakel war er von Generalbundesanwalt Rebmann von der Revisonsabteilung für politische Verfahren (auch geheime Verschlußsachen) in die Abteilung für normale Strafverfahren versetzt worden. Vor wenigen Monaten versuchte Rebmann dann, sich des unliebsamen Mitarbeiters mittels einer Strafanzeige endgültig zu entledigen. Corpus delicti sollte ein Gutachten über die Rechtslage der Vergabe von Einmalspritzen an Fixer sein, das Bruns im Dezember vergangenen Jahres für die AIDS–Hilfe Karlsruhe erstellt hatte: Bruns hielt die Vergabe von Einmalspritzen „für unbedenklich“, wenn sie „im Rahmen der Aufklärungs– und Betreuungsarbeit bei Drogenabhängigen“ erfolge. Eine wirksame AIDS–Prophylaxe müsse „an diesem Punkt ansetzen“, be fand der Jurist. Generalbundesanwalt Rebmann zeigte seinen Untergebenen wegen Verdachts der Beihilfe zum Drogenmißbrauch (§ 29 Absatz 1 Nummer 10 Betäubungsmittelgesetz) an. Der zuständige Staatsanwalt befand bereits nach kurzem Aktenstudium, es bestünden „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat“. Bruns (“Ich vertrete hier meine Privatmeinung, sie hat nichts mit meiner amtlichen Funktion zu tun“) tat sich erfrischend unverblümt während der Diskussion hervor. Er teilte die Ansicht seiner Mitdiskutanten, daß das AIDS– Problem vor allem auch ein Problem der Drogenabhängigen ist. (Gerade in den Haftanstalten, wo mehrere Gefangene die gleiche Spritze benutzen, steigt die Zahl der HIV–Infizierten rapide; bereits jetzt - so die Schätzung - tragen in Berlin 40 bis 60 Prozent aller drogenabhängigen Gefangenen den Virus in sich.) In Amsterdam, so Bruns, seien hingegen nur zehn Prozent der Drogenabhängigen HIV–infiziert. Dies sei nicht zuletzt auf die kostenlose Verteilung von Spritzen und Kondomen zurückzuführen. „Bei uns entschließt man sich immer erst, wenn es zu spät ist, weil sich die Juristen so schwer tun“, klagte er bekümmert. „Wir dürfen uns nicht vor lauter Hysterie unsere freiheitlich demokratische Grundordnung kaputtmachen“, warnte er mit Hinweis auf das Zwangsmaßnahmenmodell Bayern. Umdenken Die Ansicht des Bundesanwalts, daß die Infektionsgefahr durch die Verteilung von Einwegspritzen ein wichtiger Beitrag zur AIDS–Prophylaxe sei und nicht unter die Strafbarkeitszone des Paragraphen 29 Nummer 10 falle - „der Verkauf von Tabak an Haschischraucher ist ja auch nicht strafbar“ -, wird seit März diesen Jahres von den Gesundheitsministern des Bundes und der Länder geteilt. Bruns zitierte aus dem Buch von Gesundheitsministerin Rita Süssmuth, „Wege aus der Angst“. „Eine wichtige Lektüre zum Thema AIDS“, so sein Buchtip vom Podium. „Umdenken ist erforderlich“, doch bis sich gewisse Erkenntnisse durchsetzten - „es ist eine Frage des gesunden Menschenverstands“ -, „wird es wohl noch drei bis vier Jahre dauern“, war der Bundesanwalt eher pessimistisch: „Die Juristen brauchen so grauenhaft lange.“ Daß Spritzen jemals in Haftanstalten kostenlos verteilt würden, hielt er für fraglich. „Das Problem ist, daß die JVAs zugeben müßten: Wir haben Drogen im Knast.“ Aber: „Wer JVAs kennt, weiß“, daß das Einbringen von Drogen - genauso wie das Schmuggeln von Kassibern - „einfach nicht zu verhindern ist“. Das Beispiel San Francisco vor Augen, schlug Bruns vor, zumindest Desinfektionsmittel zum Sterilisieren der Spritzen in den Haftanstalten auszugeben: „Auch Kondome müssen über die medizinischen und sozialen Dienste kostenlos verteilt werden.“ Es reiche nicht aus, daß die Gefangenen Kondome nur über den Einkauf, „vor den Augen der anderen“, erwerben könnten; dafür sei Homosexualität immer noch ein zu großes „Tabu“. „Im Zweifel gegen Zwangsmaßnahmen“ Der Mann aus Karlsruhe hielt es für äußerst problematisch, HIV– Infizierte, die andere angesteckt haben sollen, strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Der Nachweis, daß der Infizierte von einer ganz bestimmten Person angesteckt worden sei - „es gibt Marginalfälle“ -, ist Bruns zufolge wegen der Länge der Inkubationszeit praktisch nicht zu führen. Und: „Niemand wird gezwungen, mit einem anderen ins Bett zu gehen.“ „Wer sich heute noch mit einem anderen ohne Kondome einläßt, den er nicht kennt, der ist dafür selbst verantwortlich.“ Von Verhaltensvorschriften und Gesetzesneuregelungen für HIV–Infizierte und AIDS–Kranke - „einen Gefährdungstatbestand zu schaffen wird diskutiert“ - hält der Bundesanwalt nichts. „Das einzige, was so eine Vorschrift bewirken würde, ist, daß die Denunzianten und Erpresser zunehmen werden.“ Bei der Anwendung des Paragraphen 81 a StPO, der die zwangsweise Blutentnahme für einen HIV–Test regelt, müsse ganz besondere richterliche Sorgfalt walten, forderte er. Ein positiver HIV–Befund verändere das Leben des Betreffenden grundlegend; soziale Ausgrenzungen und tiefe Depressionen seien oftmals die Folge. Der Grundsatz „Im Zweifel gegen Zwangsmaßnahmen“ müsse zum obersten Gebot werden. HIV– Tests ohne richterliche Anordnung wegen „Gefahr im Vollzuge“ - im Nachtdienst vorgenommen -, „müssen ausgeschlossen werden“. „Solange wir keinen Impfstoff und kein Heilmittel haben, sind wir zur Verhaltensänderung durch Aufklärung verurteilt“, so Bruns überzeugend. „Die Gesellschaft ist darauf angewiesen, daß sich die Infizierten verantwortlich verhalten; aber dann muß sich auch die Gesellschaft den Infizierten gegenüber anständig verhalten.“

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